Darf eine Bundeskanzlerin Strapse und schwarze Lack-Dessous tragen? Steve Bell ist offenbar der Meinung, dass das passt. Denn er zeichnete Angela Merkel (CDU) als Domina, die den Präsidenten der Europäischen Zentralbank, Mario Draghi, an der Leine hält. Die Mehrheit der Bundesbürger ist da anderer Meinung. Rund zwei Drittel finden, das gehe zu weit. Besucher des Hauses der Geschichte in Bonn können nun per Touchscreen mit abstimmen, wo die Grenzen des guten Geschmacks liegen. Als Anschauungsmaterial dienen rund 300 Karikaturen der sieben deutschen Kanzler und der amtierenden Bundeskanzlerin von 1949 bis in die Gegenwart.

Anlass der Schau unter dem Titel "Zugespitzt. Kanzler in der Karikatur" ist das 70. Jubiläum der Konstitution der Verfassungsorgane im September 1949. Die Ausstellung präsentiert bis zum 10. Mai 2020 Zeichnungen bekannter Karikaturisten, darunter Mirko Szewczuk, Klaus Pielert, Wolfgang Hicks, Hans Traxler, Haiko Sakurai und Klaus Stuttmann. Dabei ist jedem Kanzler und der Kanzlerin ein Kabinett gewidmet. Zugleich ist die chronologisch aufgebaute Schau eine Reise durch die Entwicklung der politischen Karikatur seit Kriegsende.

Ende der 60er Jahre aggressiver

Konrad Adenauer (CDU) war der erste Kanzler, der im Fokus der Karikaturisten stand. Denn in der Weimarer Republik hätten eher Typen wie etwa der Adelige, oder der General, in der Karikatur eine Rolle gespielt, erklärt Kurator Ulrich Op de Hipt. Der Grund sei, dass es mangels Fernsehen nur wenige Bilder der Kanzler gab. "Das ändert sich nach dem Krieg und damit werden die Kanzler zu Hauptpersonen in der Karikatur." Sehr genau nehmen die Zeichner Adenauers Machtfülle unter die Lupe: Der erste Bundeskanzler erscheint als Dompteur des Kabinetts oder als Kopf der CDU.

In der Adenauer-Ära hat die Karikatur eher die Funktion eines politischen Kommentars. Im Vergleich zu den bissigen Zeichnungen aus der Zeit der Weimarer Republik galten sie Kritikern als zu zahm. Das ändert sich erst langsam unter Ludwig Erhard (CDU). Zu Zeiten der Studentenbewegung Ende der 60er Jahre wird die Karikatur dann deutlich aggressiver. Kanzler Kurt Georg Kiesinger (CDU) gerät wegen seiner NS-Vergangenheit ins Kreuzfeuer der Zeichner. Motiv ist zum Beispiel die Ohrfeige, die die Journalistin Beate Klarsfeld dem Kanzler im November 1968 wegen seiner NS-Vergangenheit verpasste.

Nackter Kanzler mit Heiligenschein

Anfang der 70er Jahre spiegeln sich die politischen Gegensätze und Auseinandersetzungen dann deutlicher in der Karikatur. "Die Politisierung ergriff auch die doch eigentlich dem abwägenden Kommentar verpflichteten Karikaturisten", sagt Op de Hipt. So engagiert sich Walter Hanel im Wahlkampf 1972 explizit für Willy Brandt (SPD) und karikierte dessen Hauptgegner Franz Josef Strauß (CSU). Umgekehrt zeichnet Wolfgang Hicks ein Bild Willy Brandts, wie er von linksliberalen Medien gestützt wird, die den nackten Kanzler mit Heiligenschein und Lorbeerkranz ausstatten.

Helmut Schmidt (SPD) wird von den Karikaturisten besonders häufig als Lotse dargestellt: So geht er am Ende seiner Kanzlerschaft als solcher von Bord - ein bekanntes Karikatur-Motiv aus dem 19. Jahrhundert, das an eine ähnliche Zeichnung des scheidenden Reichskanzlers Otto von Bismarck erinnert. In einem Hängearchiv können die Besucher die Geschichte des Lotsenmotivs in der Karikatur nachblättern.

Nicht mehr ernst genommen

Mit Helmut Kohls Kanzlerschaft tritt ein neuer Stil der Karikatur und Satire auf. Die Person des Kanzlers wird aufs Korn genommen. Mitunter gehe es mehr um den Witz als um politische Auseinandersetzung, sagt Op de Hipt. "Stand vorher die analytische Karikatur im Vordergrund, so werden jetzt die Politiker nicht mehr ernst genommen." Teilweise gehe das unter die Gürtellinie. Das prägende Motiv in der Darstellung Kohls war die Birne. In der Ausstellung ist die Zeichnung von Hans Traxler zu sehen, die erstmals Kohls Kopf als Birne darstellt.

Gerhard Schröder (SPD) erscheint in der Karikatur vor allem als Medienkanzler. Selbstverliebt sitzt er vor einer Wand von Fernsehbildschirmen, auf denen ausschließlich er selbst zu sehen ist. Als "Gerd Bonaparte" zeichnet ihn Sebastian Krüger in der Pose Napoleons mit einem Hauch von Größenwahn. Zunehmend wird die Karikatur und Satire aber auch zu Klamauk. Der "Steuersong" aus der Radio-Comedy-Serie "Die Gerd-Show" wurde sogar von CDU-Politikern kritisiert. Schröder wird mit Witzartikeln verunglimpft. Seine Karikatur wird sogar auf Klopapier gedruckt.

Die politische Entwicklung Angela Merkels (CDU) lässt sich in der Karikatur anschaulich verfolgen. Von Kohls "Mädchen" wird sie in einer Zeichnung Karl Lagerfelds zur Frau, die die Hosen anhat und zur mächtigsten Frau Europas. Die letzte Karikatur von Klaus Stuttmann zeigt die Kanzlerin nach ihrem Rückzug vom CDU-Parteivorsitz als bröckelnde Figur.