Viele Europäer sehen sich einer Studie zufolge durch die etablierten Parteien nur unzureichend repräsentiert. Das ist das Ergebnis einer europaweiten Umfrage im Auftrag der Bertelsmann Stiftung, die am 26. April in Berlin vorgestellt wurde. Zugleich bekundeten zwei Drittel der Befragten (68 Prozent), an der Europawahl teilnehmen zu wollen. In Deutschland waren es sogar 73 Prozent. Das wäre ein enormer Anstieg gegenüber den vorangegangenen Wahlen. Allerdings seien "Anhänger von europakritischen Parteien an den politischen Rändern stärker mobilisiert als die noch etwas wahlmüde politische Mitte", sagte Robert Vehrkamp als einer der Autoren der Studie.

2014 lag die Wahlbeteiligung bei Europawahlen in der Europäischen Union bei 42,6 Prozent und 2009 bei 43 Prozent. Dabei verwies Vehrkamp darauf, dass die Absichtserklärungen immer über der tatsächlichen Wahlbeteiligung lägen.

Für die Studie "Europa hat die Wahl - Populistische Einstellungen und Wahlabsichten bei der Europawahl 2019" wurden im Januar in den zwölf größten EU-Staaten mehr als 23.700 Menschen online befragt. Durch die repräsentativen Stichproben auf nationaler Ebene seien insgesamt 82 Prozent aller Wahlberechtigten abgedeckt worden, so Vehrkamp von der Bertelsmann Stiftung. Die Europawahl findet in Deutschland am 26. Mai statt.

"Die Höhe der Wahlbeteiligung wird für das Wahlergebnis und die Zukunft Europas entscheidend sein", betonte Aart De Geus, Vorstandsvorsitzender der Bertelsmann Stiftung. Die Mobilisierung der überwiegend proeuropäischen Mitte sei dafür eine wichtige Voraussetzung.

Laut Studie sind Anhänger von populistischen und extremistischen Parteien besonders EU- und demokratiekritisch eingestellt. In Sachfragen zeigten sich die Wähler der Links- und Rechtspopulisten dennoch stärker gespalten als die Wähler etablierter Parteien. Für das neue EU-Parlament bedeute dies, so Vehrkamp, dass Konsensentscheidungen und positive Mehrheiten noch größere Koalitionen der etablierten Parteien als bisher erforderten. "Je stärker die populistisch-extremen Ränder werden, umso stärker zwingt es die etablierten Parteien zum Konsens." Gelinge dieser Brückenschlag nicht, könnten negative Mehrheiten zur Selbstblockade führen.

Als Ursache für Populismus identifiziert die Studie das Gefühl von Bürgern, durch die Parteien nur unzureichend repräsentiert zu werden. "Wer die weitere Ausbreitung populistischer Einstellungen verhindern will, sollte sich deshalb um eine möglichst gute Repräsentation aller Wähler kümmern", sagte Vehrkamp. Dabei warnte er aber davor, Rhetorik und Themen etwa der AfD einfach zu übernehmen. Diese Strategie sei in der Vergangenheit komplett gescheitert, sagte Vehrkamp unter Verweis auf das von ihm mit erstellte "Populismusbarometer". Vielmehr sollte auf Abgrenzung gegenüber Populisten gesetzt und die Systemfrage "pro oder anti Europa" gestellt werden.

Der Studie zufolge identifizieren sich lediglich etwa sechs von 100 Wahlberechtigten (6,3 Prozent) mit einer Partei. Fast jeder Zweite (49 Prozent) lehne eine oder mehrere Parteien ab. "Viele Bürger entscheiden sich nicht mehr für eine Partei, sondern wählen gegen solche Parteien, die sie am stärksten ablehnen", erläuterte Vehrkamp. Dabei kassierten laut Umfrage die extremen und populistischen Parteien mit rund 52 Prozent die höchsten Ablehnungswerte. Zugleich erhielten die Rechtspopulisten mit rund zehn Prozent die höchsten und die Linkspopulisten mit rund sechs Prozent relativ hohe Werte bei den positiven Parteiidentifikationen.

"Die populistischen Parteien haben es in relativ kurzer Zeit geschafft, sich eine stabile Stammwählerbasis zu schaffen. Ihre gleichzeitig hohen Ablehnungswerte zeigten aber auch, wie gefährlich es für andere Parteien wäre, die populistischen Parteien nachzuahmen", so Vehrkamp.