Karlsruhe (epd). Die Grünen-Politikerin Renate Künast kann von Facebook in vollem Umfang Auskunft über Nutzer verlangen, die herabsetzende Kommentare über sie veröffentlichten. Politikerinnen und Politiker müssten sich auch in einer öffentlichen Debatte eine auf die Person abzielende öffentliche Verächtlichmachung oder Hetze nicht gefallen lassen, entschied das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe in einem am 2. Februar veröffentlichten Beschluss. Damit gaben die Richter der Verfassungsbeschwerde von Künast statt. Zuvor hatten Berliner Gerichte nur in einem Teil der von der Politikerin monierten Fälle strafrechtlich relevante Beleidigungen gesehen. (AZ: 1 BvR 1073/20) Künast äußerte sich erfreut über das Votum der Verfassungsrichter.

Hintergrund des Rechtsstreits war eine Debatte im Berliner Abgeordnetenhaus 1986 zum Thema Gewalt gegen Kinder in Familien. Ein Abgeordneter hatte damals eine Parlamentarierin gefragt, wie sie zu einem Antrag der Grünen in Nordrhein-Westfalen stehe, die Strafandrohung wegen sexueller Handlungen an Kindern aufzuheben. Künast hatte daraufhin dazwischengerufen, „Komma, wenn keine Gewalt im Spiel ist“.

Der rechtsextreme Netz-Aktivist Sven Liebich hatte dies Jahre später auf seiner Facebook-Seite aufgegriffen und den Kopf von Künast in sprechender Pose um ein Zitat ergänzt: „Komma, wenn keine Gewalt im Spiel ist, ist Sex mit Kindern doch ganz o. k. Ist mal gut jetzt.“ Unter dem Beitrag gab es zahlreiche herabsetzende Kommentare über die Politikerin.

Künast verlangte daraufhin von Facebook die Profildaten der Beleidiger. Der Konzern lehnte unter Verweis auf die Meinungsfreiheit ab. Das Landgericht Berlin wertete 2019 zunächst ebenfalls alle Kommentare als Meinungsfreiheit. Erst in zwei weiteren Verfahren befanden Land- und Kammergericht, dass zwölf von 22 beanstandeten Posts als strafbare Beleidigung anzusehen seien.

Das Bundesverfassungsgericht entschied nun, dass auch die übrigen Kommentare Künasts Persönlichkeitsrecht verletzten. Zwar müssten Politikerinnen und Politiker scharfe Kritik durchaus hinnehmen, aber nicht jede „ins Persönliche gehende Beschimpfung“. „Denn eine Bereitschaft zur Mitwirkung in Staat und Gesellschaft kann nur erwartet werden, wenn für diejenigen, die sich engagieren und öffentlich einbringen, ein hinreichender Schutz der Persönlichkeitsrechte gewährleistet ist“, hieß es in der Begründung. Das Kammergericht Berlin muss nun neu über den Fall verhandeln.

Künast twitterte, dies sei ein „guter Tag für die Demokratie“. Gemeinsam mit der Beratungsstelle HateAid, die das Verfahren finanzierte, erklärte sie, mit der Entscheidung seien die Fachgerichte künftig verpflichtet, konkrete Abwägungen im Einzelfall vorzunehmen. Sie werde zudem Auswirkungen für viele Menschen haben, die sich engagierten und Hate Speech teils organisiert ausgesetzt seien. Künast erklärte, sie rechne nach dem Votum aus Karlsruhe generell mit mehr Zurückhaltung auf Facebook, Twitter und anderen Kanälen: „Das ist ein Stück Rechtsgeschichte im digitalen Zeitalter“, sagte sie.