Rund ein Jahr nach Beginn der Corona-Krise in Deutschland warnt das UN-Kinderhilfswerk Unicef vor den Folgen für Kinder und Jugendliche. "Der Sicherung der Kinderrechte muss jetzt höchste Priorität eingeräumt werden", sagte der Vorstandsvorsitzende von Unicef Deutschland, Georg Graf Waldersee, am 20. April bei der Online-Präsentation des Unicef-Berichts zur Lage der Kinder in Deutschland 2021. Es mehrten sich die Hinweise, dass derzeit viele Familien an ihre Grenzen stießen, heißt es darin. Unicef fordert deshalb die Einberufung eines Gipfels zur Bewältigung der Folgen von Corona für Kinder, Jugendliche und Familien in Deutschland, wie Waldersee sagte.

"Je länger die Krise dauert, umso größer wird die Belastung gerade für die jungen Menschen und umso stärker kommen sie an ihre Grenzen", warnte sagte Unicef-Schirmherrin Elke Büdenbender. Bei einer aktuellen Befragung gaben laut dem Bericht mehr als die Hälfte von 1.000 Eltern in Deutschland an, dass die Kontaktbeschränkungen sowie die Schließung von Schulen und Kindertagesstätten den Stress in ihren Familien deutlich erhöht haben. Ein Teil berichtete zudem von einem gestiegenen aggressiven Verhalten gegenüber den Kindern.

Folgen von Schulschließungen und Distanzunterricht

Gerade jüngere Kinder litten stark unter Schulschließungen und Distanzunterricht, sagte der Autor des Berichts, Hans Bertram. "Gerade für Grundschulkinder ist der Präsenzunterricht eine zwingende Voraussetzung, um eine Gleichheit der Entwicklungschancen zu schaffen." Schulschließungen sollten deshalb, wenn irgendwie möglich, vermieden werden.

Schon vor der Pandemie sei die psychische Gesundheit und Zufriedenheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland schlechter gewesen als in vielen anderen Industrieländern, betonte Waldersee. Das belege der Unicef-Bericht, der sich im Wesentlichen auf Daten vor der Corona-Krise stützt. Danach waren vor der Pandemie 21 Prozent der Mädchen und nahezu 13 Prozent der Jungen im Alter von 15 Jahren unzufrieden mit ihrem Leben. Damit belegten die deutschen Jugendlichen im Vergleich zu 26 Industrieländern den 16. Platz. "Dass ein signifikanter Teil der Jungen und Mädchen ohne Zuversicht in die Zukunft geht, ist richtig schlimm", betonte Waldersee.

Auffällig sei vor allem die relativ hohe Unzufriedenheit von Mädchen und jungen Frauen im Alter zwischen 16 und 19 Jahren, sagte Bertram. 16 Prozent von ihnen schätzten sich als depressiv ein. Das seien doppelt so viele wie bei den Jungen. 13 Prozent erhielten verschreibungspflichtige Beruhigungsmittel. "Damit weicht Deutschland signifikant von anderen Ländern ab," betonte der Soziologe. Positiv bewertet der Bericht das Verhältnis von Kindern und Eltern. Danach fühlen sich mehr als 90 Prozent der Kinder von ihren Eltern unterstützt.

Lob für soziale Sicherung

Einen Fortschritt sieht der Bericht auch bei der Entwicklung der relativen Armut von Kindern und Jugendlichen. Sie sei zwischen 2014 und 2019 um 2,6 Prozentpunkte gesunken. 2019 seien mit 1,48 Millionen rund zwölf Prozent der Kinder und Jugendlichen unter 16 Jahren von Armut betroffen gewesen. Dabei habe die Bevölkerung zwischen 2015 und 2018 durch Zuwanderung um 2,5 Millionen zugenommen. "Das heißt, die Leistungsfähigkeit des sozialen Sicherungssystems in der Bundesrepublik ist im Vergleich zu vielen anderen europäischen Ländern sehr gut," stellte Bertram fest.

Dennoch seien die Jahre des starken wirtschaftlichen Wachstums seit 2010 nicht ausreichend genutzt worden, um die Kinderarmut zu senken, kritisiert der Bericht. Kinder aus Einwandererfamilien und vor allem aus Haushalten mit alleinerziehenden Eltern seien weitaus stärker gefährdet. Durch die Pandemie drohten nun sozioökonomische Verwerfungen, denen mit enormen finanziellen und sozialpolitischen Kraftanstrengungen begegnet werden müsse. Notwendig sei vor allem ein umfassender strategischer Ansatz zur Überwindung der Kinderarmut wie etwa eine Kindergrundsicherung, forderte Waldersee.