Genf (epd). Die Arbeit wird viel gelobt, doch der Friedensnobelpreis kommt überraschend. Denn zu den großen Favoriten für die hohe Auszeichnung gehörte das Welternährungsprogramm (WFP) der Vereinten Nationen nicht. Viele Experten räumten anderen Institutionen aus der UN-Familie wie der Weltgesundheitsorganisation weitaus höhere Chancen ein, den wichtigsten internationalen Preis zu erhalten. Die Auszeichnung für das Welternährungsprogramm mit Sitz in Rom, die "größte humanitäre Organisation der Welt", wie die Vorsitzende des norwegischen Nobelkomitees, Berit Reiss-Andersen, am 9. Oktober sagte, ist aber auch eine Würdigung der Vereinten Nationen insgesamt.
"Die UN spielen eine Schlüsselrolle in der Aufrechterhaltung der multilateralen Kooperation", sagte die Vorsitzende. Die von der Corona-Pandemie, Krisen und Kriegen geschüttelte Welt brauche die enge multilaterale Kooperation mehr als jemals zuvor.
Für globale Zusammenarbeit, für Hilfe und für Solidarität steht das Welternährungsprogramm, das ausschließlich aus freiwilligen Beiträgen finanziert wird, wie kaum eine andere Organisation. Hauptsächlich Regierungen überweisen Gelder in die WFP-Kassen. Die insgesamt 17.000 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen planen, in diesem Jahr 138 Millionen Menschen mit überlebenswichtigen Lebensmitteln zu erreichen. Doch immer wieder muss das WFP Essensrationen kürzen, wie zuletzt etwa im Bürgerkriegsland Jemen, weil die Staaten zu wenig Geld für den Hilfseinsatz überwiesen haben.
Fast 13 Milliarden Mahlzeiten
Jeden Tag schickt das WFP im Durchschnitt rund 5.000 Lastwagen, 20 Frachtschiffe und 92 Flugzeuge in den Einsatz, "um die Bedürftigsten mit Nahrungsmitteln und anderen Hilfsgütern zu unterstützen". Jedes Jahr umfasst die WFP-Ernährungshilfe zirka 12,6 Milliarden Mahlzeiten.
Doch damit kann das WFP nicht alle hungernden Menschen satt machen. Das weiß auch der Exekutivdirektor, der US-Amerikaner David Beasley (63). Erst vor wenigen Tagen warnte der einstige Gouverneur des US-Bundesstaates South Carolina vor dem UN-Sicherheitsrat vor den Konsequenzen der Covid-19-Krise: "Die Auswirkungen haben die zwei Milliarden Menschen, die weltweit in der informellen Wirtschaft arbeiten, hauptsächlich in Ländern mit mittlerem und niedrigem Einkommen, am härtesten getroffen. Sie sind oft nur einen Tag Arbeit davon entfernt, Hunger zu leiden, sie leben mit anderen Worten von der Hand in den Mund."
Beasley befürchtet, dass die die Grenzschließungen und die Talfahrt der Weltwirtschaft im Zuge der Corona-Pandemie noch viele Menschen tödlich treffen wird. Rund 270 Millionen Menschen werden laut seinen Worten in "Richtung Hungertod" gedrängt. Diesen Menschen müsse dringend geholfen werden, verlangte Beasley.
Bomben, Gewalt, Hunger
Schon vor Beginn der Corona-Pandemie spitzte sich der Hunger weltweit wieder bedenklich zu. Das WFP und andere Nahrungsmittelexperten der UN schätzen, dass Ende 2019 fast 690 Millionen Menschen nicht genug zu essen hatten. "135 Millionen Menschen in 55 Ländern litten akuten Hunger", warnt das WFP. Innerhalb von fünf Jahren stieg die Zahl der Kinder, Frauen und Männer, die von Hunger betroffen waren, um 60 Millionen.
Einer der Hauptgründe für diese Entwicklung liegt in den vielen bewaffneten Konflikten rund um den Erdball. Egal ob im Jemen, in der Demokratischen Republik Kongo, in Nigeria, in den Sahelstaaten oder in Syrien: Die Kämpfe, die Gewalt, die Bomben zerstören die Volkswirtschaften der Länder und reißen die Zivilisten in den Abgrund.
Ein Konfliktland, in denen es den Menschen mit am schlimmsten geht, ist der Südsudan. Ein jahrelanger Bürgerkrieg verwüstete den noch jungen Staat, vor allem dessen Landwirtschaft. Bäuerliche Betriebe wurden reihenweise zerstört, Felder abgebrannt, Vieh getötet. Die Konfliktparteien setzen den Hunger sogar als Waffe in ihrem Krieg ein, wie eine UN-Kommission erst jüngst beklagte. Im Südsudan vermischen sich die Grausamkeiten des Konflikts und die Corona-Pandemie zu einem verheerenden Mix. WFP-Chef Beasley warnt eindringlich: "Durch Ausbrüche des Virus in städtischen Gebieten wie Juba drohen weitere 1,6 Millionen Menschen zu verhungern."