Im Streit um deutsche Kolonial-Denkmäler hat der evangelische Kulturbeauftragte Johann Hinrich Claussen dafür plädiert, diese Denkmäler möglichst stehenzulassen und sie historisch und künstlerisch zu kommentieren. Es sei wichtig, über die Präsentation gemeinsam neu nachzudenken, weil inzwischen viele Menschen in Deutschland lebten, die eine Migrationsgeschichte aus ehemaligen Kolonialgebieten hätten, sagte Claussen dem Evangelischen Pressedienst (epd). Bei der Auseinandersetzung mit problematischer Erinnerungskultur in Deutschland hätten Kolonial-Denkmäler bislang kaum im Fokus gestanden. "Endlich ändert sich das."

Große Bildungsaufgabe

Deutschland und die USA oder Großbritannien ließen sich beim Umgang mit Denkmälern schwer vergleichen, sagte Claussen mit Blick auf Denkmal-Stürze in Minneapolis und Bristol nach dem gewaltsamen Tod des Afroamerikaners George Floyd. "Aufgrund unserer Geschichte haben wir viel früher begonnen, uns kritisch mit problematischen Denkmälern zu beschäftigen, sie abzubauen oder mit Gegendenkmälern zu konfrontieren." Er rief dazu auf, auch im Blick auf Denkmäler mit Bezug zur Kolonialzeit nicht pauschal vorzugehen.

"Das Erste ist, dass wir uns überhaupt mit unserer Kolonialgeschichte befassen", sagte der Kulturbeauftragte der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). "Hier liegt eine große Bildungsaufgabe vor uns." Die Denkmäler könnten in diesem Zusammenhang eine wichtige Aufgabe übernehmen. Sie präsentierten das Thema ja im öffentlichen Raum, allerdings auf problematische Weise. "Aber es gibt viel bewährte und kreative Möglichkeiten, das zum Anlass der Auseinandersetzung zu machen", sagte der Theologe.

Von Fall zu Fall entscheiden

Angesichts der Forderung bestimmter betroffener Gruppen, Denkmäler oder auch andere Erinnerungsformen wie Straßennamen abzuschaffen, die im Zusammenhang mit Antisemitismus-, Rassismus- oder Sexismus-Vorwürfen gesehen werden, sagte Claussen: "Wir müssen von Fall zu Fall entscheiden. Manchmal sind solche Denkmäler schlicht falsch und dumm, andere sind wirklich verletzend, andere wiederum werden zu unrecht angegriffen." Zu letzteren zähle zum Beispiel das Gomringer-Gedicht "Alleen". "Da gilt es, ein rechtes Maß zu finden, Opfer von Diskriminierung wahrzunehmen, aber keine polarisierende Identitätspolitik zu betreiben", sagte der EKD-Kulturbeauftragte.

Das Gedicht "avenidas" ("Alleen") von Eugen Gomringer wurde 2018 von der Fassade einer Berliner Hochschule entfernt, weil Studentinnen und Studenten es sexistisch fanden. Inzwischen ist es im gleichen Stadtteil an einer anderen Hauswand zu sehen.