Der Holocaust-Gedenktag ist für die beiden großen christlichen Kirchen in Deutschland auch ein Anlass zur Dankbarkeit. Recht verstanden sei der 27. Januar ein Tag, für den man Dankbarkeit empfinden könne, denn er handle davon, dass den Verbrechen der Nationalsozialisten ein Ende gesetzt wurde, heißt es einer gemeinsamen Erklärung, die am 24. Januar in Hannover und Bonn veröffentlicht wurde. Zusammen mit dem 8. Mai, dem Tag der Befreiung, erinnere dieser Gedenktag auch an die Überwindung eines politischen Systems, das keinerlei Respekt für das Leben und die Würde des Menschen gekannt und die Ausrottung ganzer Menschengruppen zum Programm erklärt und systematisch organisiert habe.

Am 27. Januar wird international der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz vor 75 Jahren gedacht. "Vor allen Opfern verneigen wir uns. Ihr Andenken darf weder den heute lebenden Generationen noch den künftigen gleichgültig werden", schreiben der Vorsitzende der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx, und der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm.

"Oft mit dem Rücken zu den Opfern"

Man dürfe nicht darüber hinwegsehen, dass viele Christen mit dem nationalsozialistischen Regime kollaboriert, zur Verfolgung der Juden geschwiegen oder ihr sogar Vorschub geleistet hätten, heißt es in der gemeinsamen Erklärung von Bischofskonferenz und EKD weiter. "Auch Verantwortliche und Repräsentanten der Kirchen standen oft mit dem Rücken zu den Opfern." Antijudaismus, also die Ablehnung der Juden aus religiösen Gründen, habe die europäische Kultur über Jahrhunderte geprägt. Die Kirchen hätten sich dieser Geschichte nach 1945 gestellt. Man sei dankbar dafür, dass schon wenige Jahre nach der Shoah auch in Deutschland Juden das offene und ehrliche Gespräch mit Christen gesucht hätten, schreiben Bedford-Strohm und Marx.

Dass der Mord an sechs Millionen Juden von einem Land mit jahrhundertelanger christlicher Prägung, mit humanistisch-aufklärerischer Bildungstradition ausging, führe allen vor Augen, wie brüchig die Grundlagen der Menschlichkeit zu allen Zeiten sind. Deshalb werde die Shoah fast überall in der Welt erinnert. Es sei ein Gedenken um unser aller Zukunft willen.

Rekowski fordert entschiedenes Auftreten gegen Antisemitismus

Der rheinische Präses Manfred Rekowski hat dazu aufgerufen, sich entschieden gegen jegliche Form von Antisemitismus zu stellen. "Des Vergangenen gedenken heißt zugleich, der Wahrheit ins Auge zu sehen", sagte der oberste Theologe der Evangelischen Kirche im Rheinland am 24. Januar in Düsseldorf anlässlich des 75. Jahrestags der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau. Dazu gehöre eine reale Bedrohung für Juden durch einen "tief verwurzelten Antisemitismus" in Deutschland.

Kirche hat nach Rekowskis Worten die Verantwortung, deutlich "Nie wieder!" zu sagen. "Es ist dabei unsere Aufgabe und unsere Verpflichtung, auf antisemitische Tendenzen und Gefahren aufmerksam zu machen", betonte er. "Das sind wir nicht nur unseren jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern schuldig, das ist auch schlicht unsere gesellschaftliche Pflicht." Vor der rheinischen Landessynode hatte der Theologe vergangene Woche für mehr Gemeindepartnerschaften und gemeinsame Projekte zwischen Juden und Christen geworben.

Zum Holocaust-Gedenktag machte die rheinische Kirche auf den Film "GehDenken - eine Reise nach Krakau und Auschwitz" aufmerksam, den sie gemeinsam mit Mitgliedern der Evangelischen Jugend Essen und der Alevitischen Jugend Essen gedreht hat. Im Jahr 2018 waren die Jugendlichen zu einer Gedenkstättenfahrt nach Krakau und Auschwitz aufgebrochen. Sie berichten in dem Video unter anderem davon, wie sich ihr Leben durch Auschwitz verändert hat.

Kirche in Lippe: Erinnerung NS-Gewaltherrschaft wachhalten

Die Lippische Landeskirche mahnte, die Erinnerung an die Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft zu bewahren und Antisemitismus und Rassismus in Deutschland keine Chance zu geben. Die Opfer und das, was ihnen angetan wurde, dürften niemals vergessen werden, erklärte die Landeskirche am 24. Januar in Detmold. Der Name "Auschwitz" stehe seither für die "unfassbaren Verbrechen", die durch das NS-Regime an Millionen Menschen begangen wurden. Viele Schulen, Kommunen und Kirchengemeinden erinnerten auch in diesem Jahr an die Befreiung von Auschwitz. Man sei allen dankbar, die sich dieser Erinnerungs- und Gedenkkultur verpflichten sehen und sie aktiv mitgestalten, hob die Landeskirche hervor.

Bei dem Gedenken gehe es auch darum, "uns und zukünftige Generationen vor erneuten antisemitisch und rassistisch motivierten Verbrechen zu bewahren", hieß es weiter. "Die aktuelle Zunahme hassvergifteter Haltungen, ausgrenzender Worte und gewalttätiger Anschläge macht die Erinnerung an das Grauen notwendiger denn je", erklärte die Landeskirche. Der Mord an dem Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke und der Anschlag auf die Synagoge in Halle (Saale) hätten vor Augen geführt, wie hoch die Gefahr rassistisch und antisemitisch motivierter Gewalt in der Gesellschaft sei.