Berlin (epd). Ein sogenanntes Kinderkopftuchverbot in Deutschland wäre einem Rechtsgutachten zufolge verfassungskonform. Ein Verbot würde zwar einen Eingriff in das Elternrecht bewirken, sich aber als eine verhältnismäßige Beschränkung darstellen, sagte der Autor und Tübinger Verfassungsrechtler Martin Nettesheim bei der Vorstellung am 29. August in Berlin. Auch einen Eingriff in die Religionsfreiheit sieht Nettesheim nicht, der das Gutachten im Auftrag der Frauenrechtsorgansiation Terre des Femmes verfasste.
Selbst wenn davon ausgegangen werde, dass das Tragen religiös oder weltanschaulich konnotierter Bekleidung durch ein Kind unter 14 Jahren eine grundgesetzlich geschützte Handlung wäre, sei ein Verbot des Kinderkopftuchs nach Artikel 7 Grundgesetz zu rechtfertigen, sagte Nettesheim. Gesetzgeberische Erziehungsziele ließen es zu, in der Schule äußere Manifestationen mit religiöser Konnotation durch noch nicht glaubensreife Kinder zu unterbinden. Die sogenannte Religionsmündigkeit gilt in Deutschland ab 14 Jahren.
Dreiviertel für Verbot
Bei einer Umfrage unter 252 Lehrern und Erziehern bundesweit sprachen sich laut Terre des Femmes 75 Prozent für ein Kinderkopftuchverbot in Schulen und anderen Bildungseinrichtungen aus. 83 Prozent sehen eine Beeinträchtigung der persönlichen Entwicklung der jungen Mädchen, 56 Prozent gaben an, ein Verbot würde ihre Arbeit erleichtern. Aus ihrem Berufsalltag berichteten die Pädagogen, dass in 58 Prozent der Fälle kopftuchtragende Mädchen in ihren Klassen nicht am Sport- und Schwimmunterricht sowie an Schulausflügen und Klassenfahrten teilnähmen. In 25 Prozent der Fälle seien sie Opfer von Mobbing.
Unter dem Titel "Den Kopf frei haben!" hat Terre des Femmes im Mai 2018 eine Petition für ein gesetzliches Verbot des Kinderkopftuches im öffentlichen Bildungseinrichtungen gestartet, die bislang von rund 35.000 Menschen unterzeichnet wurde. Das Kinderkopftuch stehe für eine Diskriminierung und Sexualisierung von Minderjährigen, heißt es zur Begründung. Unterzeichner sind unter anderem die Journalistin und Moderatorin Maria von Welser, die Kabarettistin Lisa Fitz, der Psychologe Ahmad Mansour und der Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer (Grüne). Eine von islamischen Verbänden und Gruppen gestartete Gegenpetition gegen ein Kopftuchverbot hat mehr als 173.000 Unterstützer.
Schule als neutraler Raum
Die Autorin und Soziologin Necla Kelek, Vorstandsfrau bei Terre des Femmes, nannte das Kinderkopftuch eine "Menschenrechtsverletzung". Den Mädchen werde das Recht auf Kindheit genommen, sie würden bereits als Kinder zu Frauen gemacht, eine kindgerechte Entwicklung sei nicht möglich. Schule müsse aber ein neutraler Raum sein, wo die individuelle Förderung der Einzelnen im Mittelpunkt stehe.
"Es muss möglich sein, die Diskriminierung von muslimischen Mädchen gesetzlich zu beenden", sagte die SPD-Politikerin Lale Akgün. Akgün warnte davor, der Logik der islamischen Verbände zu folgen und die Muslime als eine Gruppe zu sehen. "Es gibt keine muslimische Identität. Das ist eine Erfindung des politischen Islam", sagte die Psychologin und Autorin.
Die Gegner eines Kinderkopftuchverbotes argumentieren in ihrer Petition, ein Verbot sei ein Eingriff in die Persönlichkeitsbildung junger muslimischer Frauen und bringe diese in einen Konflikt mit ihren persönlichen Überzeugungen sowie der erzieherischen Wertevermittlung der Eltern. Damit würden innere Konflikte bei unseren Kindern erzeugt, "welche unweigerlich zu einem Identitätsdilemma führen".