Berlin (epd). Der Deutsche Ethikrat lehnt eine allgemeine Impfpflicht ab, fordert aber ein Maßnahmenbündel zur Erhöhung der Impfquoten. Das Wissenschaftler-Gremium stellte am 27. Juni in Berlin seine einvernehmlich beschlossene Stellungnahme "Impfen als Pflicht?" vor. Der Vorsitzende Peter Dabrock warnte, eine Impfpflicht berge den Erkenntnissen des Gremiums zufolge sogar die Gefahr, die Ablehnung in der Bevölkerung zu steigern und das Gegenteil zu bewirken: "Das Ziel mit der Brechstange erreichen zu wollen, wird nicht wirksam sein", sagte Dabrock.
Eine Impfpflicht empfiehlt der Ethikrat allein für das Personal im Gesundheits-, Sozial- und Bildungswesen, weil für Ärzte, Lehrer und Pflegekräfte die Ansteckungsgefahr höher ist. Diese müsse konsequent durchgesetzt werden, auch mit einem Beschäftigungsverbot.
Gegen Bußgelder
Insbesondere für Klein- und Schulkinder lasse sich eine Impfpflicht hingegen nicht rechtfertigen, weil in dieser Gruppe die Impfquoten am höchsten seien, argumentiert der Ethikrat. Damit widerspricht er der Linie von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU). Spahn will eine Verpflichtung zur Masern-Schutzimpfung für Kita- und Schulkinder durchsetzen. Ungeimpfte Kleinkinder sollen keine Kita besuchen dürfen, Eltern von Schulkindern sollen Bußgelder bis 2.500 Euro zahlen.
Der Ethikrat meint hingegen, Ausschlüsse aus Bildungs- und Erziehungseinrichtungen sollten nur in Ausnahmefällen möglich sein. Bußgelder lehnt das Gremium ab. Es empfiehlt stattdessen Kontrollen des Impfstatus' der Kinder, die gezielte Ansprache der Eltern und Impftage in Kitas und Schulen. Das Gremium plädiert auch für eine Gesetzesänderung: Eltern sollten mit der Anmeldung zur Kita nicht mehr nur nachweisen müssen, dass sie sich zu Impfungen haben beraten lassen, sondern den tatsächlichen Impfschutz ihres Kindes dokumentieren.
Gesundheitsminister Spahn ging auf die Warnung vor einer Impfpflicht nicht ein, erklärte aber, die Stellungnahme helfe in der Debatte. Anders als der Ethikrat halte er es für notwendig, die moralische Verpflichtung zur Impfung gegen Masern "verbindlicher zu gestalten". Sein Ziel sei, so Spahn, "dass zumindest Kinder und deren Betreuer sowie medizinisches Personal geimpft werden".
Höhere Impfquote
Anlass der Impfpflicht-Debatte waren eine Masernausbruch an einer Schule im niedersächsischen Hildesheim und Warnungen der Weltgesundheitsorganisation, die zunehmende Impfmüdigkeit gehöre zu den großen Gesundheitsrisiken. Ebenfalls am 27. Juni veröffentlichten die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina und die Akademie der Wissenschaften in Hamburg ein Diskussionspapier, in dem sie einen leichteren Zugang zu Schutzimpfungen fordern. Die dafür erforderlichen Änderungen könnten unabhängig von der derzeit diskutierten Impfpflicht umgesetzt werden, erklären die Autoren.
Völlig einig sind sich die Wissenschaftler in dem Ziel, die Impfquoten zu erhöhen. Der Ethikrat sieht eine moralische Verpflichtung, sich selbst und die eigenen Kinder gegen Masern impfen zu lassen. Die Impfung sei "keine reine Privatangelegenheit", heißt es in seiner Stellungnahme. Masern seien eine gefährliche Infektionskrankheit, die sich mit einer nebenwirkungsarmen Impfung vermeiden lasse. Jeder sei daher mitverantwortlich für die Menschen, die sich nicht impfen lassen können, bei denen die Krankheit aber unter Umständen einen besonders schweren Verlauf nehme. Um einen Gemeinschaftsschutz zu erreichen, müssen 95 Prozent der Bevölkerung immunisiert sein.
In Deutschland haben 97 Prozent der Kinder die erste und 93 Prozent auch die zweite Impfung gegen Masern. Große Lücken gibt es aber bei den Erwachsenen. Um sie zu schließen, raten die Wissenschaftler dringend zu gezielten Aufklärungs- und Impfkampagnen. Die Politik solle sich auf diese Gruppe konzentrieren, nicht auf die kleine Gruppe der Impfgegner, erklärte der Leiter der Arbeitsgruppe für die Impf-Stellungnahme, der Humangenetiker Wolfram Henn. Nur zwei Prozent der Erwachsenen seien erklärte Impfgegner und mit Argumenten nicht zu erreichen. Für Ärzte, die Fehlinformationen über die angeblichen Gefahren von Impfungen verbreiten, fordert der Ethikrat berufsrechtliche Sanktionen.