Berlin (epd). Ist Organspender, wer zustimmt - oder der, der nicht widerspricht: Der Bundestag steht vor einer schwierigen Grundsatzfrage. Seit Jahren geht die Zahl der Organspender in Deutschland zurück, vor allem seit den Manipulationsskandalen in einzelnen Kliniken. Für einige Abgeordnete ist das Anlass, über den Grundsatz der Organspende in Deutschland nachzudenken. Bislang ist jeder Organspender, der einen entsprechenden Ausweis ausgefüllt, sich also ausdrücklich dafür entschieden hat. Zwei Vorschläge für Gesetzesänderungen sollen die Bürger - in jeweils unterschiedlichem Maß - stärker in die Pflicht nehmen. Am 26. Juni debattierte das Parlament in Berlin in erster Lesung über die Entwürfe.
Erster Redner war der CSU-Politiker Georg Nüßlein, der den Vorschlag der Gruppe um Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) und den SPD-Politiker Karl Lauterbach unterstützt. Sie wollen die Einführung der sogenannten Widerspruchsregelung, nach der jeder zum Organspender wird, der dem zu Lebzeiten nicht widersprochen hat. Dieser Widerspruch, den auch noch die Angehörigen einlegen können, wenn ihnen der Wille des Verstorbenen bekannt ist, soll in einem Register hinterlegt werden.
"Zeit läuft davon"
Wenn eine Mehrheit der Deutschen bereit sei, ein Organ anzunehmen, müsse auch die Mehrheit bereit sein, zu spenden, sagte Nüßlein. Es gebe nichts Christlicheres, als im Tod einem Menschen das Leben zu retten, sagte er. Zentrales Argument der Befürworter der Widerspruchsregelung war im Bundestag die in ihren Augen drängende Zeit.
"Den Leuten auf der Warteliste läuft die Zeit davon", sagte die SPD-Politikerin Sabine Dittmar. 9.000 Menschen warten in Deutschland auf ein lebensrettendes Organ. Wenn man nichts Grundlegendes ändere, werde man in zwei, drei Jahren die gleiche Diskussion wieder führen müssen. Gesundheitsminister Spahn, der sich auf der Rednerliste der mehr als zweistündigen Debatte weit hinten als Abgeordneter einreihte, sagte: "Der Weg hat bis hierhin nichts gebracht."
Die Unterstützer des zweiten Entwurfs sehen das anders. Eine Gruppe um die Parteivorsitzenden Annalena Baerbock (Grüne) und Katja Kipping (Linke) will daran festhalten, dass die Entscheidung zur Organspende freiwillig bleibt, sie aber in Richtung einer Zustimmungslösung erweitern. In regelmäßigen Abständen sollen die Bürger auf dem Amt, beim Erste-Hilfe-Kurs und beim Hausarzt über Organspende aufgeklärt und darum gebeten werden, eine Entscheidung in einem Online-Register zu hinterlegen, wie die SPD-Abgeordnete Hilde Mattheis erläuterte. Die Aufforderung zur Entscheidung wäre damit verbindlicher als jetzt, aber keine Pflicht.
"Selbstbestimmungsrecht ein hohes Gut"
Das Selbstbestimmungsrecht der Bevölkerung sei ein hohes Gut, sagte Mattheis. Damit argumentierten auch andere Unterstützer des Baerbock-Vorschlags. Die Initiatorin selbst warnte davor, mit den Beratungen zu suggerieren, es könne jedem geholfen werden, der ein Spenderorgan braucht. Voraussetzung für eine Organspende in Deutschland sei der Hirntod, sagte Baerbock. 2018 seien 1.416 Menschen in Deutschland am Hirntod gestorben, während 9.000 auf ein Organ warteten, sagte Baerbock. Diese Diskrepanz werde man auch mit einer Neuregelung nicht ändern.
Hinter beiden Entwürfen stehen Unterstützer aus unterschiedlichen Parteien. Abgestimmt wird voraussichtlich im Herbst ohne Fraktionszwang. Allerdings hat die AfD kurz vor der ersten Beratung einen weiteren Antrag als Fraktion ins Parlament eingebracht. Sie will an der bisherigen Regelung festhalten, schlägt aber kleinere Änderungen im Transplantationsgesetz vor.
Hinter welchem der beiden Gesetzentwürfe sich am Ende mehr Unterstützer versammeln, ist bislang nicht absehbar. In der ersten Beratung war die Redezeit gleichmäßig unter den jeweiligen Befürwortern verteilt.