Dortmund (epd). Bevor sie antwortet, nestelt sie mit dem Finger an ihrer Halskette herum, tastet Stein für Stein ab, kontrolliert, ob sich etwas daran verdreht hat. Die 78-jährige Stefanie M. (Name geändert) ist vor ihrem Beratungstermin im Büro der Deutschen Stiftung Patientenschutz in Dortmund sichtlich aufgeregt. In gut zwei Stunden wird die alte Dame entschieden haben, dass sie nicht künstlich ernährt werden will, sollte sie eines Tages ins Wachkoma fallen. Und bei einer schweren Hirnschädigung will sie nicht beatmet werden.
Stiftungsmitarbeiterin Claudia Lesner notiert die Sterbenswünsche der "Kundin". Die gelernte Krankenschwester wird für die 78-Jährige die Verfügung verfassen, in der Ärzte im Notfall erfahren sollen, wie lange medizinische Geräte die Seniorin am Leben erhalten sollen.
Dass der Termin reine Vorsorge ist, wiederholen Stefanie M. und ihre Tochter, die sie begleitet, während der Beratung mehrfach. "Das heißt ja nicht, dass wir dich jetzt loswerden. Mama, du hast uns versprochen, du wirst 120 Jahre alt", sagt die Tochter und schmunzelt. Man wisse ja nie, sagt Stefanie M. Sie will sich wappnen - gegen den Einsatz moderner Technik, der ihr Leben sinnlos verlängert. "Wenn ich nicht mehr entscheiden kann, ist es sowieso aus. Dann können die Ärzte alles abschalten."
Notizen zu "Sterbenswünschen"
Drei Mal sei sie schon an Gürtelrose erkrankt, erzählt sie Beraterin Lesner. Einmal seien ihre Schmerzen so stark gewesen, dass sie sogar Angst hatte zu sterben. Also füllte sie eine Vorlage einer Patientenverfügung aus dem Internet aus, kreuzte Textbausteine an und unterschrieb - allerdings hatte sie dabei kein gutes Gefühl. Denn sie verstand nicht so richtig, was die Formulierungen bedeuteten. Also entschied sie sich für ein Beratungsgespräch bei der Stiftung Patientenschutz.
Mit der Beratung zu den Patientenverfügungen hilft die Stiftung Menschen bei der Vorsorge. Sie setzt sich aber auch für die Rechte von Pflegebedürftigen ein und versteht sich als Interessenvertretung für Schwerstkranke und Sterbende. "Die Menschen sind mit der Situation oft so überfordert, dass sie sich nicht mehr selbst organisieren und für ihre Rechte eintreten können", sagt Elke Simon, die dienstälteste Mitarbeiterin der Stiftung.
Seit ihrer Gründung als "Deutsche Hospiz Stiftung" im Jahr 1995 rechnet sich die Stiftung zwei große Erfolge zu: 2007 legte der Bundestag fest, dass jeder Versicherte am Lebensende einen Rechtanspruch auf Palliativversorgung hat. Für das Patientenverfügungsgesetz, das der Bundestag im Juni 2009 beschloss, hatte die Stiftung ebenfalls jahrelang gekämpft. Das verabschiedete Gesetz habe allerdings einen Haken, sagt Simon. Die Patientenverfügung ist gültig, sobald sie eine Unterschrift enthält. Die Stiftung plädiert jedoch dafür, eine vorherige Beratung zur Pflicht zu machen. Denn sie bezweifelt, dass ein Großteil der selbst erstellten Dokumente im Ernstfall tatsächlich greift - und damit hilft.
Spenden von Pharma-Industrie werden nicht angenommen
Deshalb bietet die Stiftung in ihren Büros in Dortmund, Berlin und München mit rund 20 Mitarbeitern persönliche und telefonische Beratung an. Die Gespräche sind zwar kostenlos, aber wer sie in Anspruch nehmen will, muss Mitglied im Förderverein der Stiftung sein und einen jährlichen Mindestbeitrag von 48 Euro bezahlen. Die Stiftung zählt nach eigenen Angaben rund 55.000 Mitglieder.
Die Stiftung betont, dass sie unabhängig, überkonfessionell und überparteilich sei. Für ihre Arbeit sei das unverzichtbar. Spenden von Firmen und Unternehmen nimmt die Stiftung nicht an. Nicht mehr, seit sie 2014 in die Kritik geraten war, nachdem sie 40.000 Euro von der Pharmafirma Grünenthal erhalten hatte. Die Stiftung finanziert sich über Mitgliedsbeiträge, private Spenden und Erträgen aus Testamenten. Im Jahr 2017 erhielt sie nach eigenen Angaben rund 3,6 Millionen Euro.
Nach der zweistündigen Beratung ist die Luft im Büro von Claudia Lesner verbraucht. Als die Beraterin der Stiftung Patientenschutz die 78-Jährige nach ihren Wünschen für ihr Lebensende fragt, winkt Stefanie M. ab: "Ich bin genügsam." Lesner notiert schließlich, dass die Dame in ihren letzten Stunden vermutlich noch gerne einen Sahnelikör nehmen wird. Und außerdem gerne WDR4 im Radio hört. Einen Wunsch darf Lesner nicht in die Patientenverfügung aufnehmen - die Bitte um aktive Sterbehilfe. Dagegen hat sich die Stiftung klar positioniert.