Schwere Gewalt gegen Kinder ist ein besonders düsteres Kapitel für Ermittler und Kinderschützer, und sie geht nicht zurück. In Deutschland werden jeden Tag allein mindestens 40 Kinder Opfer sexueller Gewalt. Der Präsident des Bundeskriminalamts, Holger Münch, sagte am 6. Juni in Berlin, die Zahlen seien erschreckend. Die Deutsche Kinderhilfe verlangte mehr Aufmerksamkeit für die Gefährdung von Kindern. Der Vorstandsvorsitzende Rainer Becker sagte, Polizei und Jugendämter bräuchten dafür mehr Personal.

136 Kinder wurden 2018 getötet, 63 vorsätzlich und 73 fahrlässig. Hinzu kamen 98 Tötungsversuche. Die Zahl der polizeilich bekannten Misshandlungen von Kindern sank 2018 geringfügig gegenüber dem Vorjahr auf 4.180 Fälle. Die Hälfte der Opfer war jünger als sechs Jahre.

Im vorigen Jahr wurden bei der Polizei 14.606 Fälle von sexuellem Missbrauch angezeigt, knapp 800 mehr als im Vorjahr. Die Täter sind Münch zufolge überwiegend männliche Erwachsene aus dem engen Umfeld der Kinder, die Opfer zu zwei Dritteln Mädchen. Die Polizeiliche Kriminalstatistik gibt nur Auskunft über die angezeigten Fälle. Das Dunkelfeld wird von Experten als weit größer eingeschätzt. Münch sagte: "Es gibt weitaus mehr Taten als wir sehen - und wir sehen schon viel."

Hinweise aus den USA

Den stärksten Anstieg von rund 14 Prozent verzeichnet die Kriminalstatistik bei den Zahlen zur Herstellung, dem Besitz und der Verbreitung von kinderpornografischem Material. Die Polizei registrierte knapp 7.500 Fälle. Die meisten Hinweise auf Missbrauchsdarstellungen kommen laut Münch aus den USA, wo Provider verpflichtet sind, kinderpornografisches Material zu melden. Er forderte eine Meldepflicht auch für Deutschland.

In jedem fünften Fall mussten die Ermittler laut Münch die Verfolgung aufgeben, weil die Adressen der Computer, auf denen die Bilder und Daten gespeichert sind, nicht mehr vorhanden waren. Die Möglichkeit, IP-Adressen und Verbindungsdaten bis zu zehn Wochen zu speichern, ist in Deutschland aufgrund eines Gerichtsurteils ausgesetzt, bis eine Regelung auf EU-Ebene vorgegeben wird. Ein weiteres Problem der Ermittler sei die riesige und weiter wachsende Datenmenge, die ausgewertet werden müsse, sagte Münch.

Der BKA-Chef begrüßte den Plan von Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU), den polizeilichen Ermittlern die Übernahme digitaler Identitäten von Tätern auch gegen deren Widerstand zu ermöglichen. In Fällen, in denen überführte Täter mit der Polizei freiwillig zusammengearbeitet hätten, habe man beachtliche Ermittlungserfolge erzielt, sagte Münch.

Der Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, Johannes-Wilhelm Rörig, richtete einen eindringlichen Appell an die Bundesländer, Missbrauchsbeauftragte auf Landesebene zu berufen. Unverbindliches Mitgefühl reiche im Kampf gegen sexuelle Gewalt nicht aus, sagte Rörig. Die Länder seien zuständig für die Verfolgung der Täter und müssten sich verbindliche Ziele setzen für die Prävention: "Kinderschutz gehört nach ganz oben auf die Agenda einer jeden Landesregierung", sagte Rörig.