Berlin (epd). Es geht um mehr als eine Million Beschäftigte und ein politisches Versprechen: Altenpflegekräfte in Deutschland sollen besser bezahlt werden. An seinem ersten Tag als Bundesgesundheitsminister sagte Jens Spahn (CDU) auf dem Deutschen Pflegetag, sein Ziel sei, zu einer Tarifbezahlung in der Altenpflege zu kommen. In dreieinhalb Jahren, am Ende der Legislaturperiode, wolle er sagen können, es sei besser geworden.
Um eine Ausweitung der tariflichen Bezahlung in der Altenpflege wird schon lange gerungen. Rund 80 Prozent der Heime und Pflegedienste sind nicht tarifgebunden und nur zehn Prozent der Pflegekräfte gewerkschaftlich organisiert. Das liegt auch daran, dass zwei der großen Pflegeanbieter, die evangelischen und katholischen Träger, keine Tarifverträge sondern Arbeitsvertragsrichtlinien (AVR) haben.
Kirchlicher Extra-Weg
Sie erreichen damit bei den eigenen Einrichtungen eine hohe überbetriebliche Verbindlichkeit der Lohnabschlüsse - bei den diakonischen Unternehmen sind es laut dem Arbeitgeberverband VdDD 93 Prozent - aber eben nach kirchlichem Arbeitsrecht, das beispielsweise Streiks ausschließt. Mit der Bezahlung liegen Diakonie und Caritas am oberen Ende der Lohnskala.
Nicht nur der kirchliche Extra-Weg unterscheidet die Verhältnisse in der Altenpflege von anderen Branchen. Es existieren unterschiedliche Tarifwerke nebeneinander. Gemeinnützige Anbieter konkurrieren mit privaten Unternehmen und zunehmend auch mit Konzernen.
Politischer Wille ist da
Nun soll ein wichtiger Schritt zur Erhöhung der Tarifbindung getan werden. Der AWO-Bundesvorsitzende Wolfgang Stadler sagte dem Evangelischen Pressedienst (epd), er gehe davon aus, "dass im Januar der Durchbruch gelingt und alle Voraussetzungen erfüllt sind, um einen allgemeinverbindlichen Tarif in der Pflege umzusetzen". Ein gemeinsamer Arbeitgeberverband der nichtkirchlichen, gemeinnützigen Organisationen werde den notwendigen Rahmen geben, um das Projekt Anfang 2019 auf den Weg zu bringen, erklärte Stadler - gemeint ist die Aufnahme von Verhandlungen mit der Tarifkommission der Gewerkschaft ver.di.
Kommt es zu einem Abschluss, kann das Bundesarbeitsministerium diesen für allgemeinverbindlich erklären. Der politische Wille dazu ist da. Dann dürfte kein Pflegeunternehmen mehr geringere Löhne zahlen, als dieser Tarif vorgibt. Mit den Lohnforderungen will sich ver.di an den Tarifen im öffentlichen Dienst orientieren.
Niedriges Branchenniveau
Jörg Kruttschnitt vom Vorstand des Evangelischen Werks für Diakonie und Entwicklung ist zuversichtlich, dass es zu einem allgemeinverbindlichen Tarif kommen wird. Er glaubt aber, dass dieser niedrigere Löhne vorsehen wird als etwa die AVR der Diakonie. "Man darf nicht übersehen, dass die ganze Branche mitgenommen werden muss", sagte Kruttschnitt. Das Branchenniveau sei niedriger als die Bezahlung bei kirchlichen Trägern oder nach dem - kaum angewendeten - Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst.
Ver.di-Bundesvorstandsmitglied Sylvia Bühler sagte dem epd, der angestrebte Tarifvertrag werde dazu beitragen, dass sich mehr Menschen für den Pflegeberuf entscheiden und Altenpflegerinnen, die aus dem Beruf geflüchtet sind, zurückkommen. "Ein bundesweit geltender Tarifvertrag, der von keinem Anbieter unterschritten werden darf, hilft nicht nur den Beschäftigten, sondern müsste eigentlich auch im Interesse der privaten Pflegekonzerne sein", sagte Bühler weiter: "Wenn sie keine Fachkräfte mehr bekommen, ist schließlich ihr 'Geschäftsmodell' gefährdet."
"Schwerwiegender Eingriff in die Tarifautonomie"
Das sehen die privaten Anbieter anders, so etwa der Präsident des bpa-Arbeitgeberverbandes Rainer Brüderle: "Wir sehen die Versuche, allgemeinverbindliche Tarifverträge in der Pflege zu erleichtern, als schwerwiegenden Eingriff in die Tarifautonomie." Die Arbeitgeber seien gar nicht gegen Tarifverträge. Sie hätten aber kein Gegenüber, sagt Brüderle: "Wir stellen fest, dass ver.di aufgrund fehlender Mitglieder als Verhandlungspartner ausfällt."
Der bpa-Arbeitgeberverband hat eigene Entgelttabellen für alle Bundesländer beschlossen. Er reagiert damit auf den Druck Richtung tariflicher Bezahlung. Eine Pflegekraft verdiene danach knapp 60 Euro mehr im Monat als im Bundesdurchschnitt, erklärt der Verband. Offen bleibt allerdings, wie groß - oder gering - der Anteil der Unternehmen ist, die tatsächlich entsprechend bezahlen. Der Arbeitgeberverband Pflege, in dem die umsatzstärksten Konzerne zusammengeschlossen sind, spricht sich lediglich dafür aus, Pflegekräften ein Mindesteinkommen von 2.500 Euro monatlich zu garantieren.