Miriam Hoffmann sitzt auf einem alten grünen Sofa und blickt auf gerahmte Porträtfotos, die an weißgetünchten Backsteinwänden hängen. Sie zeigen Alltagsszenen von Menschen etwa in Aserbaidschan, Indien, dem Irak oder Amerika. Mal sind es fröhliche Schulkinder, mal eine obdachlose Frau auf einem Müllberg. "Die Fotos hat jemand aus dem Viertel gemacht", erzählt die 34-Jährige. "Ein Lehrer, der auf seinen Reisen fotografiert." In diesem Raum treffen sich die "Beymeister" - Mitglieder einer kleinen christlichen Gemeinschaft in Köln, die neue und ungewöhnliche Wege geht.

"Früher waren die Beymeister die verschiedenen Meister einer Zunft, die sich beratend und auf Augenhöhe zur Seite standen", erzählt Hoffmann. Daher hat das Projekt der Evangelischen Kirchengemeinde Köln-Mülheim seinen Namen. "Wir wollen einen Ort bieten, an dem sich der Stadtteil enger vernetzt, an dem sich Menschen einbringen und eine Gemeinschaft so gestalten, dass sie sich wohl fühlen."

Vorbild ist Fresh-X-Bewegung aus England

Hoffmann sitzt im "Wohnzimmer" der Beymeister: einer ehemaligen Schneiderei, deren Name noch auf dem großen Schaufenster prangt. Hier, kaum 50 Meter von der evangelischen Friedenskirche entfernt, treffen sich die Beymeister, trinken Kaffee und Tee, veranstalten Wohnzimmerkonzerte, kochen zusammen und beten miteinander - wenn das erwünscht ist. "Wir sind Kirche im Alltag", sagt Hoffmann, die Gemeindereferentin und Laienpredigerin ist. "Die Leute sprechen uns mit ihren Wünschen und Vorstellungen an, und wir versuchen, das dann umzusetzen."

Zusammen mit dem evangelischen Pfarrer Sebastian Baer-Henney probiert Hoffmann seit 2015 neue Wege für die Gemeindearbeit vor Ort aus und testet dabei eine Struktur, die Menschen mit ihren Bedürfnissen außerhalb von Kirchengebäuden ansprechen soll. "Unser Vorbild ist die Fresh-X-Bewegung", erklärt sie. Diese Bewegung bildete sich in den letzten 20 Jahren in der Anglikanischen Kirche von England unter dem Begriff "Fresh Expressions of Church" (deutsch: neue Ausdrucksformen von Kirche) heraus.

Die Bewegung geht davon aus, dass die traditionellen Ausdrucksformen der Kirche für einen Großteil der Bevölkerung unbedeutend geworden sind. Nach einer statistischen Erfassung der Church of England aus dem Jahr 2007 gehören mehrere zehntausend Menschen solchen Gruppen an.

Zu den Beymeistern in Köln zählen 150 bis 200 Menschen, darunter ein "harter Kern" von 50 Leuten. "Die Menschen, die zu uns kommen, sind ganz unterschiedlich", sagt die 24-jährige Eva Kurrer, die Religions- und Gemeindepädagogik studiert und ihr Praxissemester bei den Beymeistern absolviert. "Die meisten sind zwischen 25 und 45 Jahre alt, sie sind Protestanten, Katholiken oder gar nichts." Sie alle verbinde, dass an diesem Ort "ihre Spiritualität Raum findet".

Versuchslabor

Offiziell sind sie Teil der Ortsgemeinde Köln-Mülheim, "aber mit klaren Abgrenzungen", betont Hoffmann: "Wir sehen unsere Rolle nicht darin, Menschen zu fischen, um sie in die Gemeinde zu überführen." Der Kirche würden auch keine Mitglieder abgeworben: "Die Menschen, die zu uns kommen, suchen etwas ganz anderes als traditionelle Kirche." Es gehe darum, die klassische Kirche zu ergänzen, um ein breiteres Spektrum abzudecken.

Für die Kirche seien die Beymeister eine Art Versuchslabor und zugleich ein Vorzeigeprojekt: "Presbyterien aus ganz Deutschland interessieren sich für die Beymeister." Die Evangelische Kirche im Rheinland will auf ihrer seit 6. Januar tagenden Landessynode in Bad Neuenahr darüber entscheiden, wie solche innovativen und kreativen Projekte gefördert werden können, damit sie auch an anderen Orten Schule machen. Unkonventionelle Gemeindenformen neben der klassischen Ortsgemeinde sollen einen Mentalitätswandel in der Kirche voranbringen.

Eine Schwierigkeit ist bisher die Finanzierung: Zwar gebe es Unterstützung durch die Landeskirche, sagt Hoffmann. Doch die Miete für die ehemalige Schneiderei müssten die Beymeister selbst aufbringen, mit Hilfe von Crowdfunding über die Website. Auch Hoffmanns Stelle als projektbezogene Gemeindereferentin hängt am seidenen Faden: "Meistens weiß ich im Dezember nicht, ob ich im Januar noch einen Job habe." Doch darüber macht sich die zweifache Mutter kaum Gedanken: "Ich wollte das hier unbedingt machen, dafür habe ich zwei Festanstellungen ausgeschlagen."

Einen Zehnjahresplan könne man bei einem Projekt wie diesem ohnehin nicht aufstellen, ergänzt Kurrer, bevor sie mit Hoffmann zum Einkauf aufbricht. Denn dienstags treffen sich die Beymeister zum gemeinsamen Kochen und Mittagessen. "Meistens so an die 20 Leute", sagt Kurrer, vor allem Freiberufler und Mütter mit Kindern. "Und wir haben noch keine Ahnung, was es gibt."