Dresden (epd). "Trauer ist immer da", sagt Gabi Schroth. Die 54-Jährige hat ihren Sohn verloren. Er war 19 Jahre alt und schwer krank. Etwa ein Jahr nach seinem Tod ließ sie sich 2011 ein Tattoo stechen. Seitdem trägt sie das Porträt ihres Sohnes auf dem Arm - sauber eingeritzt unter der Haut.
Schroth sagt von sich, sie sei zuvor kein Typ für Tattoos gewesen. Der Tod von Martin habe das verändert. In einer Selbsthilfe-Gruppe verwaister Eltern lernte die Leipzigerin Angehörige kennen, die bereits ein Tattoo trugen. Bei ihrer persönlichen Entscheidung habe sie sich dann auf ihr Bauchgefühl verlassen. "Durch den Tod dreht sich alles", sagt Schroth, "andere Sachen sind wichtig geworden."
Es sei "nicht ohne" und auch schmerzhaft, ein Tattoo stechen zu lassen, erinnert sie sich. Etwa viereinhalb Stunden seien bei ihr dafür nötig gewesen. Als Vorlage diente ein Foto aus dem letzten gemeinsamen Urlaub mit Martin. "Er lacht darauf so schön", sagt Schroth. Auf dem Kopf trägt er eine Baseballmütze. So kennt sie ihn. Es sind auch der Name des Verstorbenen und der seines Bruders Max eingeritzt. Max habe sie nach dem Verlust "am Leben gehalten", sagt sie.
Den Oberarm hat sie sich bewusst ausgesucht. "Ich wollte, dass ich das Bild sehen und dass ich es streicheln kann", sagt Schroth. Es sei immer bei ihr - wenn sie aufsteht, duscht, den ganzen Tag über. "Ich wollte, dass er nicht vergessen wird, dass er immer dabei ist."
"Haut als Gefühlslandschaft"
Sie hat die Erfahrung gemacht, dass viele Menschen sehr hilflos in der Begegnung mit Trauernden sind. "Meist gehen sie einem aus dem Weg", sagt Schroth. Das Tattoo sei dann ein "Opener" - es eröffnet das Gespräch.
Trauer-Tattoos stehen auch im Fokus der Ausstellung "Unsere Haut als Gefühlslandschaft", die seit drei Jahren in Deutschland unterwegs ist. An mehr als 35 Orten war sie bisher zu Gast. Derzeit macht sie in der Dresdner Dreikönigskirche Station. Kuratorin Katrin Hartig hat für die kleine Schau gut 20 Porträts zusammengetragen. Auf ihren Aufruf mit der Frage, wer sich ein Tattoo nach dem Verlust eines geliebten Menschen habe stechen lassen hat, meldeten sich rund 200 Trauernde zwischen 16 und 70 Jahren.
Auf das Thema Tattoos ist die Fernsehjournalistin aus Magdeburg bei ihrer ehrenamtlichen Tätigkeit als Trauerbegleiterin gestoßen. Für die Ausstellung habe sie aber keineswegs etwa das schönste Tattoo suchen wollen. "Es ist eine Ausstellung über Trauer, nicht über Tattoos", sagt Hartig. Sie selbst hat ihren 13-jährigen Sohn bei einem Sportunfall verloren.
Ein Tattoo stechen zu lassen sei weder Bewältigung der Trauer, noch eine Therapie, eher eine Art, seine Trauer auszudrücken, sagt Hartig. Am Ende sei es "ein bildlicher Ausdruck für einen Prozess, der schmerzt - ein Bild für die seelische Narbe".
"Die schlechten Tage kommen"
Der Neuropsychologe Erich Kasten (Travemünde) erläutert: "Es scheint für viele Trauernde der Versuch zu sein, dem starken Gefühl von Schmerz in der Trauer ein physisches Erleben als Entsprechung entgegenzustellen." Sich selbst Schmerz zuzufügen, um damit über den Verlust eines geliebten Menschen hinwegzukommen, sei ein traditionelles Verhalten. Das sei unter anderem aus afrikanischen Kulturen bekannt.
Obwohl das Tattoo die äußere Haut verändere, repräsentiere es ein Stück weit das innere Selbst einer Person. "Tattoos sind eine Art nonverbale Kommunikation", sagt er. Kasten zufolge trägt heute jeder vierte Bundesbürger ein Tattoo.
"Trauer verändert sich, Schmerz auch", sagt Gabi Schroth. Sie habe gelernt, mit dem Verlust umzugehen. Doch "die schlechten Tage kommen", da mache sie sich nichts vor: "Es gibt Situationen, da zieht es einem den Boden unter den Füßen weg." Dann seien selbst kleine Gesten der Unterstützung wichtig, etwa eine Einladung zum Kaffee, ein Gespräch.
Schroth wünscht sich, dass anders mit Trauernden umgegangen werde - offener, gesprächsbereiter, auch empathischer. Seit sie das Tattoo ihres Sohnes trägt, wird sie immer wieder mal angesprochen und gefragt, wer das auf ihrer Haut sei. Sie entscheidet dann, was und wie viel sie preisgibt. Aber meist erzählt sie von Martin. Das tut ihr gut.