Frankfurt a.M. (epd). Am Anfang der Schau hängen Kleider - Korsette, die der Frauenmode entsprechend die Taille einschnürten. Sie schränkten nicht nur die Bewegungsfähigkeit ein, sondern dadurch auch die Arbeitsfähigkeit. Doch Frauen wandten sich schon im Deutschen Kaiserreich dagegen, nur den Haushalt und die Kinder zu hüten. Die aktuelle Ausstellung "Damenwahl! 100 Jahre Frauenwahlrecht" im Historischen Museum Frankfurt am Main zeichnet den Kampf der Frauen um Gleichberechtigung nach.
Gegenüber den Korsetten hängt ein Kleidungsstück der Emanzipation - ein Tenniskleid von 1910. Die dünne, fein gewebte und verzierte Baumwolle betont zwar die Taille. Aber sie schnürt den Leib nicht ein, sondern gewährt freie Bewegungen. Auch den Sport mussten sich Frauen erkämpfen. Noch 1955 verbot der Deutsche Fußball-Bund (DFB) den Frauenfußball, da er "Körper und Seele der Frauen" schade. Die erste Sonderausstellung des Historischen Museums Frankfurt seit Eröffnung des Neubaus im Oktober 2017 bildet den Auftakt zur Jubiläumskampagne "100 Jahre Frauenwahlrecht" des Bundesfrauenministeriums und der Europäischen Akademie für Frauen in Politik und Wirtschaft.
"Menschenrechte haben kein Geschlecht"
Fast 450 Exponate aus deutschen und ausländischen Sammlungen zeigten auf 900 Quadratmetern, wie Frauen auf die Einführung des Wahlrechts 1918 hinarbeiteten und danach weiter für ihre Rechte kämpften, erklärt der Museumsdirektor Jan Gerchow. "Frauenrechte sind Menschenrechte", fasst Kuratorin Dorothee Linnemann das Anliegen zusammen. Oder, wie die Frauenrechtlerin Hedwig Dohm als Forderung (1831-1919) formulierte: "Die Menschenrechte haben kein Geschlecht".
Historische Fotos, Dokumente und Plakate veranschaulichen den Frauenalltag und die Geschlechterrolle im Kaiserreich. Doch Frauen schlossen sich in Vereinen zusammen und kämpften für das Recht auf Bildung, gerechte Arbeitswelt, körperliche Selbstbestimmung und politische Mitbestimmung. Die Schau stellt dafür jeweils herausragende Persönlichkeiten wie Helene Lange, Henriette Fürth, Bertha Pappenheim oder Anita Augspurg vor. Die Gründung der Frauenvereine und die Zulassung von Frauen zu Parteien 1908 blieb nicht ohne Widerstand: 1912 gründeten antimodernistisch eingestellte Konservative den "Deutschen Bund zur Bekämpfung der Frauenemanzipation".
Der Erste Weltkrieg bremste den Emanzipationsschwung, weil die meisten Frauen sich dem Kriegsalltag beugten, wie Linnemann erläutert. Dennoch veranstalteten Aktivistinnen wie Clara Zetkin im Frühjahr 1915 einen internationalen Frauenkongress gegen den Krieg. An den Revolutionsbestrebungen zu Kriegsende beteiligten sich auch Frauenrechtlerinnen. Toni Sender (1888 bis 1964) etwa bereitete an der Spitze der Arbeiterrätebewegung in Frankfurt am Main mit anderen Sozialisten einen Generalstreik vor. 1920 wurde sie in den Reichstag gewählt.
90 Prozent Wahlbeteiligung
Der Rat der Volksbeauftragten beschließt am 12. November 1918, ein allgemeines und gleiches Wahlrecht einzuführen. Wahlplakate der Parteien zielen daraufhin auf das Wählerpotenzial der Frauen, offenbaren aber zugleich die unterschiedlichen Frauen- und Weltbilder. Bei der Wahl zur Weimarer Nationalversammlung am 19. Januar 1919 sind erstmals Frauen zugelassen. Mehr als 90 Prozent der Frauen gehen wählen, wie Linnemann berichtet. 37 Frauen werden gewählt, sie stellen ungefähr ein Zehntel der Abgeordneten.
Die Schau folgt der Frauenbewegung bis zur Machtübernahme der Nationalsozialisten. Diese zerschlugen die Bewegung, zerstörten ihre Archive und ermordeten einige ihrer Protagonisten. Toni Sender etwa floh schon 1933 ins Exil nach Osteuropa, wurde später US-Amerikanerin und arbeitete für die Vereinten Nationen. Die schwarze Robe der Juristin Elisabeth Selbert gibt einen Ausblick nach dem Neubeginn der Frauenbewegung nach 1945: Als eine von vier Frauen im Parlamentarischen Rat der Bundesrepublik setzte sie sich für die Aufnahme des Gleichberechtigungsartikels in das Grundgesetz ein.
Eine Jahresleiste an der Wand zeigt die allmählichen Erfolge der Frauen in der Politik, von der Ernennung der ersten Bundesministerin Elisabeth Schwarzhaupt 1961 bis zur ersten Kanzlerin Angela Merkel 2005. Auch im Sport gab es Veränderung: 1970 gestattete der DFB, dass Frauen in "Damenmannschaften" Fußball spielen dürfen. Die Gleichberechtigung im Recht ist über die Jahre vorangeschritten: Seit 1977 dürfen Frauen eine Erwerbstätigkeit ohne Einverständnis ihres Mannes aufnehmen, seit 1997 ist Vergewaltigung auch in der Ehe strafbar. 100 Jahre Frauenwahlrecht sind auch 100 Jahre langer Atem.