30 Jahre nach dem Mauerfall gibt es nach Meinung des Direktors des Zeitgeschichtlichen Forums Leipzig, Jürgen Reiche, noch keine gesamtdeutsche Erinnerungskultur. "Ich denke, wir haben noch viel zu tun, um Ost und West zusammenzubringen", sagte der Historiker am 26. September in Leipzig. Brächte man die Erfahrungen der beiden deutschen Staaten zwischen 1945 und 1990 zusammen, "würden beide Seiten profitieren", fügte er hinzu. Reiche äußerte sich bei einer Podiumsdiskussion zum Thema "1989-2019: Der Umgang mit Demokratie- und Diktaturerfahrung".

Das heutige Verhältnis zwischen Ost- und Westdeutschland sei davon geprägt, dass zu viel übereinander und zu wenig miteinander gesprochen werde, sagte Reiche weiter: "Warum nicht Bergarbeiter aus dem Ruhrgebiet mit Leuten aus der Lausitz zusammenbringen?" Das Interesse im Westen an der Geschichte und den aktuellen Verhältnissen im Osten sei gerade erst am Erwachen. "Das ist auch eine Chance", betonte er. Für die Zukunft der historischen Erinnerung wünsche er sich indes "ein europäisches Narrativ", das etwa auch Polen und Frankreich mit einschließe.

Der Direktor des Willy Brandt Zentrums für Deutschland- und Europastudien der Universität Breslau, Krzysztof Ruchniewicz, kritisierte die Fokussierung der historischen Aufarbeitung auf das deutsch-deutsche Verhältnis. Die DDR sei Teil des Ostblocks gewesen, "da müsste man sich wirklich Gedanken machen, wie diese Beziehungen eigentlich ausgesehen haben", erklärte er. So finde sich etwa die "polnische Erfahrung in der deutsch-deutschen Beziehung" überhaupt nicht wieder.