Der Historiker Paul Nolte sieht in den hohen Wahlergebnissen der AfD in Brandenburg und Sachsen ein spezifisches Phänomen im Osten. Im Moment sehe man in Polen, Ungarn und anderen früheren kommunistischen Staaten wie der früheren DDR einen "nationalistischen Rückschlag", sagte der Professor für Neuere Geschichte dem Evangelischen Pressedienst (epd). Er verglich deren Situation mit der in den Südstaaten nach dem Bürgerkrieg in den USA: "30 Jahre danach, Mitte der 1890er Jahre, kam in den Südstaaten der Widerstand gegen die Überformung aus dem Norden, gegen die liberalen Zumutungen auf und auch der Rassismus erreichte einen neuen Höhepunkt."

Etwas Ähnliches sehe man in Deutschland seit 1989 "mit der asymmetrischen Situation der Regelsetzung durch den 'Sieger der Geschichte', den mentalen Wunden und der illiberalen Gegenreaktion", sagte er. Teile der Bevölkerung täten sich noch immer schwer mit einer bunteren Gesellschaft, "das aber nicht nur im Osten". Der Professor am Friedrich-Meinecke-Institut der Freien Universität Berlin plädierte dafür, nicht pauschal von "dem" Osten zu sprechen. "Auch 25 Prozent AfD-Wähler sind nicht 'der' Osten", sagte Nolte.

Um nationalistischen Tendenzen zu begegnen, muss man nach seiner Einschätzung genauer hinschauen: "Bei der Wahlgeografie in Brandenburg und Sachsen ist auffällig, dass es eine West-Ost-Differenz in den Ländern selbst gibt", sagte er. Die Zahl der AfD-Wähler sei weiter weg von den Städten und den Verkehrsachsen nach Westen höher. "Die östliche Peripherie ist politisch und kulturell in besonderer Weise vernachlässigt worden, und ökonomisch benachteiligt", sagte Nolte. Dort fühlten sich die Menschen abgehängt.

Der Historiker plädierte dafür, Erfahrungen der Ostdeutschen stärker wahrzunehmen. "Es gibt eine dominierende westdeutsche Erzählung, die ein Stück weit dem Verlauf der Dinge geschuldet ist", sagte er. Die Asymmetrie sei unvermeidlich, "denn der Kommunismus hatte abgewirtschaftet und nicht die Ordnung des Grundgesetzes". Man müsse aber aus der "normativen Falle" herauskommen. "Lebensgeschichten der DDR zu erzählen und plausibel zu machen, heißt ja nicht, das Honecker-Regime zu rechtfertigen", sagte er.

An mancher Stelle könne der Osten sogar selbstbewusster Positives von sich sagen, "etwa bei der Frage der Gleichberechtigung der Geschlechter, der Berufstätigkeit von Frauen oder der Kinderbetreuung". "Da haben wir in den vergangenen 30 Jahren in ganz Deutschland vom Osten gelernt", sagte Nolte.