Regierungsfraktionen und Opposition haben im Bundestag gegensätzliche Bewertungen zum Stand der Deutschen Einheit abgegeben. Während der Ostbeauftragte Christian Hirte (CDU) am 27. September in der Debatte über seinen in dieser Woche vorgelegten Jahresbericht ein positives Bild der Entwicklung in den ostdeutschen Bundesländern zeichnete, übten Redner vor allem von Linksfraktion und AfD zum Teil heftige Kritik an der Bestandsaufnahme. Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch kritisierte die Ausführungen Hirtes als "unverantwortliche Lobhudelei".

Der Beauftragte der Bundesregierung für die neuen Länder hatte in seinem zur Wochenmitte vorgelegten, 125 Seiten starken Bericht unter anderem konstatiert, dass Ostdeutschland heute ein attraktiver Standort sei und sich etwa die Arbeitsmarktsituation enorm entspannt habe. Die Lohnhöhe liege inzwischen bei etwa 84 Prozent des Niveaus im Westen.

Sorge bereiteten aber strukturelle Probleme der ostdeutschen Wirtschaft, wie etwa deren Kleinteiligkeit, der Mangel an Konzernzentralen und die ländlich geprägte Siedlungsstruktur. So sei kein einziges Ost-Unternehmen im Börsenleitindex Dax-30 notiert. In der Bundestagsdebatte am Freitag untermauerte Hirte seine Analyse. Die Einheit sei "eine eindrucksvolle Erfolgsgeschichte". Anpassungsprozesse hätten den Menschen jedoch viel abverlangt.

Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch kritisierte dagegen, wenn der Angleichungsprozess im jetzigen Tempo weiter gehe, werde es noch Jahrzehnte bis zur vollständigen Angleichung dauern. "Die Mehrheit der Ostdeutschen ist unzufrieden mit der Einheit", sagte Bartsch. Dies sei "ein Offenbarungseid". Auch dass 30 Jahre nach dem Mauerfall kein Hochschulrektor und kein Bundesrichter aus Ostdeutschland komme, sei "inakzeptabel". Die von den Menschen im Osten erbrachten Leistungen seien "nicht wegen, sondern trotz der Bundesregierung" erzielt worden.

Der AfD-Politiker Leif-Erik Holm nannte es traurig, dass die Einheit nach 30 Jahren nicht abgeschlossen sei. Er kritisierte, dass Millionen Euro für Demokratieprogramme im Osten ausgegeben würden: "Wir brauchen keine Nachhilfe in Demokratie, wir sind schon groß." Heute hätten die Leute im Osten Angst, dass der mühsam erarbeitete Wohlstand wieder in Gefahr sei. Das Klimapaket der Bundesregierung etwa sei "eine Kriegserklärung" an die Menschen im Osten.

Weitere der überwiegend aus Ostdeutschland kommenden Redner legten ihr Augenmerk auf Erfordernisse in einzelnen Politikbereichen. So bezeichnete es der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, Carsten Schneider, als "eklatanten Fehler", dass nach 1990 im Osten auf Niedriglöhne gesetzt worden sei. Dies führe heute zu niedrigen Renten.

Der FDP-Abgeordnete Thomas Kemmerich verlangte für Ostdeutschland eine neue "Gründungs- und Nachfolgerwelle", mehr Innovationen, eine moderne Infrastruktur sowie Anreize für die Rückkehr und die Einwanderung neuer Arbeitskräfte. Die Grünen-Parlamentarierin Claudia Müller wandte sich dagegen, alles nach West oder Ost zu sortieren: "Den Osten in dieser Form gibt es nicht." Mecklenburg-Vorpommern und Thüringen etwa seien überaus unterschiedlich, ostdeutsche Themen seien zudem immer auch gesamtdeutsche Themen.