Genf (epd). Mit sorgenvoller Miene mustert der Generalsekretär der Vereinten Nationen die Botschafter. Dann spricht António Guterres eine existenzielle Warnung aus: "Nationen müssen abrüsten oder sie gehen unter." Im historischen Sitzungssaal der Abrüstungskonferenz wird es still. Die Gesandten Dutzender Länder, die am 25. Februar im Genfer Palais des Nations der UN zusammenkamen, haben Guterres verstanden: Es geht um Sein oder Nichtsein.
Der frühere portugiesische Ministerpräsident präsentierte sich an diesem Tag einmal mehr in seiner Lieblingsrolle als Mahner, der eine Zusammenarbeit der Länder zum Wohle der Menschheit verlangt: Bei der Abrüstung und auf jedem anderen internationalen Feld. Als Antreiber, der unentwegt und wechselnd in Englisch, Französisch, Spanisch und Portugiesisch die Vorteile des Miteinander beschwört. Kurz: Als Multilateralist. Vor wenigen Tagen fasste der neunte UN-Generalsekretär sein Credo zusammen: "Wir brauchen ein stärkeres Engagement für eine regelbasierte Ordnung, in deren Mittelpunkt eine effektive UN steht."
"Mann von Visionen, Herz und Taten"
Am 30. April wird der praktizierende Katholik António Manuel de Oliveira Guterres 70 Jahre alt. Die Glückwünsche dürften aus aller Welt eintreffen, vor allem aus Europa, wo Guterres viele Freunde hat, etwa die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini. Sie preist Guterres als "Mann von Visionen, Herz und Taten".
Für Feiern dürfte dem ehemaligen Präsidenten der Sozialistischen Internationale kaum Zeit bleiben. Zu ernst sind die Bedrohungen für die Menschheit: Autoritäre Populisten wie US-Präsident Donald Trump sind auf dem Vormarsch. Konflikte wie in Afghanistan, Syrien, Libyen, Jemen, Kongo und der Ukraine zwingen Millionen Menschen in Flucht. Terrorbanden treiben ihr blutiges Unwesen.
Atomwaffenstaaten liefern sich ein neues Wettrennen um die wirksamsten Tötungsinstrumente. Millionen Menschen verhungern jedes Jahr. Und über allem breitet sich der Klimawandel aus, der apokalyptische Folgen für die Menschheit haben könnte. Die Erderwärmung "ist schneller als wir sind", warnt Guterres.
Trotz der massiven Herausforderungen stehen die Vereinten Nationen nicht entschlossen zusammen. Vielmehr lähmen Rivalitäten der Großmächte die Suche nach Lösungen, besonders wenn es um Krieg und Frieden geht. So prangert Guterres, der als Generalsekretär selbst über keine wirkliche Macht verfügt, eine Lähmung im Weltsicherheitsrat an. Die Beziehungen zwischen den drei Großmächten in dem Gremium, USA, Russland und China seien "niemals so schlecht gewesen wie heute", analysiert Guterres.
Nelkenrevolution
Schlimmer noch: Trumps USA haben sich vom Multilateralismus verabschiedet. Das wichtigste UN-Mitgliedsland setzt offen auf das Recht des Stärkeren und streicht Mittel für die Weltorganisation zusammen. Das große Pech in der Laufbahn des António Guterres: Genau im selben Monat, im Januar 2017, in dem er in New York Generalsekretär der Vereinten Nationen wurde, zog Trump als Präsident der USA ins Weiße Haus in Washington ein.
Der Amtsantritt bei den UN war der politische Höhepunkt in Guterres' Leben, das am 30. April 1949 in Lissabon begann. Im Jahr der Nelken-Revolution 1974 trat der Elektroingenieur der Sozialistischen Partei bei und half den Ärmsten in den Slums der portugiesischen Hauptstadt. Der pragmatische Idealist krönte seine nationale Karriere 1995, als er Ministerpräsident wurde. Bis 2002 blieb er Regierungschef. Persönlich musste Guterres 1998 einen schweren Schicksalsschlag hinnehmen: Seine erste Frau starb mit 51 Jahren an Krebs. Später heiratete er erneut.
Von 2005 bis 2015 diente der Mann aus Südeuropa bei den UN als Hochkommissar für Flüchtlinge. Zu seinen vielen Ehrungen wird Guterres am 30. Mai eine neue hinzufügen: Der UN-Generalsekretär erhält in Aachen den Internationalen Karlspreis. Damit, so heißt es, werde sein Einsatz für eine "multilaterale Zusammenarbeit auf der Grundlage der Werte und Ziele der Europäischen Union und der Vereinten Nationen" gewürdigt.