Frankfurt a.M. (epd). Sven Fiedler ist seit seiner Geburt schwerhörig, 2010 ist er erblindet. In einer diakonischen Einrichtung in Friedberg bei Frankfurt am Main hält er einen Vortrag über das Persönliche Budget, eine staatliche Leistung zur Teilhabe. Die Taubblindenassistentin Susanne Hedrich übersetzt Fiedlers Vortrag in Gebärdensprache, denn die anderen Anwesenden im Raum sind taub und können nur mit genügend Abstand und unter geeigneten Lichtverhältnissen sehen. "Deshalb habe ich Schwarz angezogen, obwohl ich gerne Bunt trage", sagt Hedrich. Der Kontrast sei wichtig, um ihre Handbewegungen scharf sehen zu können.
Sowohl Sven Fiedler als auch die anderen Anwesenden leiden am Usher-Syndrom, einer Kombination aus Höreinschränkung und Sehstörung. Usher ist die häufigste Ursache für erbliche Taubblindheit. Usher-Betroffene sind entweder schwerhörig oder taub und haben zudem ein eingeschränktes Sichtfeld. Sie sehen meist nur in einer Art Tunnel. Viele sind nacht- oder farbenblind oder reagieren empfindlich auf Änderung der Lichtverhältnisse. Bei manchen führt Usher zur vollständigen Erblindung.
Das Gesagte erfühlen
Wie bei einer Dame im Raum. Sie ist taub und ihr Sichtfeld ist so stark eingeschränkt, dass sie nur noch über den Tastsinn wahrnehmen kann. Eine Freundin übersetzt ihr Hedrichs Gebärden in taktile Gebärden. Sie führt die Bewegungen kleiner aus, die Betroffene greift die Hände ihrer Kommunikationspartnerin und erfühlt das Gesagte. Stille Post könnte man sagen, nur dass es sich hierbei nicht um ein Kinderspiel handelt.
"Kein Mensch darf in dieser Gesellschaft verloren gehen", ist Christiana Klose überzeugt. Sie koordiniert das Projekt "Aufklären, finden, inkludieren" der Frankfurter Stiftung für Blinde und Sehbehinderte. Die Stiftung realisiert das Projekt im Auftrag des Hessischen Ministeriums für Soziales und Integration. Es soll die Anzahl Taubblinder in Hessen ermitteln und ihre Situation erfassen.
Taubblinde fielen oft durch das Raster, sagt Klose. Nicht einmal eine amtliche Statistik gebe es. Schätzungen gehen von etwa 800 Taubblinden in Hessen aus. Doch wie viele es genau sind, wisse man nicht, sagt sie. "Aufgrund der demografischen Entwicklung wird es viele geben, von denen man es gar nicht merkt, die sich zurückziehen und vereinsamen. Sie landen zum Beispiel in psychiatrischen Abteilungen, obwohl sie nur eine andere Unterstützung benötigen."
Klose geht es darum, "das Dunkelfeld und das stille Feld der Betroffenen aufzuhellen und etwas zum Klingen zu bringen". Man müsse den Menschen ermöglichen, am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen, sagt sie. Taubblinden-Assistenten (TBA) können Teilhabe ermöglichen. Sie begleiten die Betroffenen zum Einkaufen, zum Arzt, zum Sport. Jedoch gibt es in Deutschland keine flächendeckenden gesetzlichen Regelungen für Ausbildung und Bezahlung von Taubblindenassistenz. Schätzungen zufolge leben etwa 8.000 Taubblinde in Deutschland.
Vorzeigeland NRW
Genauso viele Assistenten bräuchte es. Und zwar überall in Deutschland, wie Claudia Preißner betont, die Vorsitzende des Taubblinden-Assistenten-Verbandes. Preißners Forderung klingt wie eine Utopie, wenn man sich die Statistiken anschaut. In Nordrhein-Westfalen, dem Vorzeigeland der TBA, gibt es derzeit 100 Assistenten auf etwa 1.900 Taubblinde, in Hessen sind es nur vier. Es brauche eine vernünftige Bezahlung, und es dürfe nicht sein, dass Taubblinde ihre Assistenz selbst bezahlen, sagt Preißner.
"Ich kann mich nicht zerteilen", sagt Susanne Hedrich. Sie ist eine der vier TBA in Hessen. Hauptberuflich arbeitet sie in einem Altenzentrum. Von der Bezahlung als Assistentin könne sie nicht leben, sagt sie. Die Teilnehmer in Friedberg fragen, ob eine Assistenz sie auch zum Schwimmen begleiten könnte, zum Tanzen in der Disco, zum Tandem-Fahren oder in den Urlaub.
Fiedler erklärt, man müsse erst einen oder mehrere Assistenten finden, die den Bedarf an Unterstützung decken können, bevor man das Persönliche Budget dafür beantragt. Hedrich zuckt mit den Schultern. Die Anwesenden im Raum lachen. "Was ist der Anspruch einer Gesellschaft an sich selbst?", fragt Christiana Klose - und antwortet selbst. Es gehe darum, "keinen zu verlieren, zu missachten oder ins Abseits zu stellen". Vor allem aber dürfe niemand abwägen, welches Leben wertvoll und welches weniger wertvoll ist.