Nürnberg (epd). Diesen Feldhasen bekommen sonst nur wenige zu Gesicht: Der Berliner Joseph Wolfgang Ohlert trägt ihn als Tattoo auf der rechten Pobacke. Nun hat er seinen Hintern fotografieren lassen, damit er Teil der Ausstellung „Dürer under your skin. TattooArt“ wird, in der seit dem 12. April 240 Tattoos nach Motiven von Albrecht Dürer (1471-1528) im Nürnberger Dürer-Haus zu sehen sind.
Dürer schuf die Melencolia, den Heiligen Hieronymus, aber auch das Nashorn, „die wunderbare Sau von Landser“ und „Ritter, Tod und Teufel“. „Das Stechen und Ritzen der Tattoos knüpft mit seiner handfesten, invasiven Methodik an die von Dürer praktizierten Drucktechniken“ an, stellt der Leiter der Nürnberger Museen, Thomas Eser, die Disziplin wissenschaftlich vor.
Tatoos bei Ötzi
Schon weit vor der Zeit des Nürnberger Künstlers haben sich Menschen tätowieren lassen. Auf der Gletschermumie Ötzi fanden sich mehr als 50 kleine Motive. Im Mittelalter konnten Menschen, die nach Jerusalem gepilgert waren, sich ein Pilger-Tattoo stechen lassen - als Beweis, „dass man die Reise erfolgreich absolviert hatte“, erzählt die Kuratorin der Ausstellung und Leiterin des Albrecht-Dürer-Hauses, Christine Demele.
Auch die Idee, sich nach Vorlagen Dürers tätowieren zu lassen, ist nicht neu, zeigt die Schau. Die Blätter der „Grünen Passion“ eigneten sich als „Arm- und Beinbilder“, stellte bereits 1934 in einer Publikation „Die Tätowierung in den deutschen Hafenstädten“ ein damaliger Berufstätowierer fest.
Demele ist beeindruckt von solchen Menschen, die sich entschieden haben, ihr Leben lang ein Werk von Dürer auf ihrem Körper zu tragen. René Peiffer, der sich Motive aus „Christus in der Vorhölle und Engel mit dem Schlüssel“ hat stechen lassen, erklärt im 120 Seiten starken Ausstellungskatalog, dass ihn die Werke des Künstlers faszinieren. „Für mich verkörpern sie nicht nur Lebensweisheiten und -erfahrungen, sondern eine ganz eigene Form der Ästhetik“.
Dürers Selbstbildnis auf dem Rücken
Eine anonyme Frau, die Dürers Selbstbildnis von 1500 auf dem Rücken trägt, schreibt: „Entschieden habe ich mich zu meinem Tattoo, als ich Kunstgeschichte studiert habe. Ich wollte Meister Dürer dadurch die Ehre erweisen, durch mich ‚weiterzuleben‘.“ Der Träger des Feldhasen auf dem Po findet es witzig, den Hasen „in eine pop-kulturelle Beziehung zu setzen mit dem berühmten Playboy-Bunny“.
„Wir haben in die Welt hineingerufen und ganz viel Resonanz bekommen und beeindruckende Statements dazu“, sagt Demele, deren Haus über 300 Fotos von Tattoos aus Nordamerika, Australien, Europa, Israel erhalten hat, der Großteil allerdings aus Deutschland. Die meisten Einsender sind über die sozialen Medien auf das Projekt aufmerksam geworden.
Schmerz- und Tod-Vorlagen haben sich die Tätowierten ausgesucht, Tiere, Heilige, die Meisterstiche oder Glaubensmotive. Hände haben ein eigenes Kapitel in der Ausstellung bekommen. Nicht nur die betenden Hände sind darunter. Besonders beeindrucken die beiden Hände, die Mario Millisterfer aus Kassel nach einer Vorstudie von „Die Hände des zwölfjährigen Jesus“ einem Klienten gestochen hat.
Christine Demele bezeichnet Tätowieren als Kunstform, darauf wolle man mit der Ausstellung hinweisen. „In der Kunstgeschichte als auch gesamtgesellschaftlich besteht da noch Nachholbedarf.“ Tätowierende hätten etwa kein Recht, in die Künstlersozialkasse einzutreten.
Parallele zur Druckgrafik
Demeles persönliches Highlight der Ausstellung ist ein Motiv von Maud Dardeau, einer französischen Tätowiererin, die auch einmal im Dürer-Haus live tätowieren wird. Dardeau hat - und das ist großes Können - die Proportionen des Dürer-Werks „Das Wappen mit dem Totenkopf“ der Größe des menschlichen Körpers und seinen Rundungen angepasst. Die Linien und Schattierungen sind aber von denen des Originals nur schwer zu unterscheiden.
Hier zeigt sich die Parallele von Druckgrafik der alten Zeit und der heutigen professionellen Tattoo-Art, Engraving (Gravur) genannt, weil sie die Technik der Kupferstiche, Holzschnitte oder Radierungen nachahmt. Wie die Druckgrafiker müssen die Tätowierer mit der Seitenverkehrung zurechtkommen, wenn sie ihre Vorlagen auf die Haut ihrer Klienten spiegeln.
Kunstexpertin Demele hat sich selbst bisher noch gescheut, ein Tattoo stechen zu lassen. Doch mehr und mehr kann sie sich mit dem Gedanken anfreunden, gibt sie zu. Ein Motiv hat sie bis jetzt nicht gewählt, weiß aber, was sie bestimmt nicht will: ein Tattoo vom Nürnberger Dürer-Haus, ihrem Arbeitsplatz.