Rom (epd). Jeder Prozentpunkt zählt beim Eindämmen der Pandemie: Knapp 80 Prozent der Italiener sind doppelt geimpft, die Booster-Kampagne schlägt an - und das in einem Land, welches oft als chaotisch verschrien ist. Die Sieben-Tage-Inzidenz steht jetzt auf 90, so niedrig wie sonst nur noch in Malta, Spanien und Schweden. In Deutschland wird unterdessen über eine Impfpflicht diskutiert, in Österreich gilt eine solche ab dem 1. Februar.
Ein Grund für diesen Erfolg ist an der Regierungsspitze zu finden. Der frühere Chef der Europäischen Zentralbank, Mario Draghi, ist bekannt für sein beherztes Handeln. Berühmt ist sein Ausspruch: „Whatever it takes“, unter diesem Motto wurde er zum Retter der Euro. Alle Mittel hat Draghi auch in der Pandemiebekämpfung zum Einsatz gebracht: Der „Green Pass“, das Zertifikat über Impf-, Test- oder Corona-Genesungsstatus, wurde in Italien mit als erstes eingeführt.
Ziel war es zunächst, das sommerliche Reisen im „Bel Paese“ zu garantieren. Das hat geklappt. Ende August wurden 20 Prozent mehr Urlauber als im ersten Pandemiesommer 2020 erfasst. In der Folge wurde die „Green Pass“-Pflicht in Italien auf immer größere Bereiche des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebens ausgeweitet. Seit Mitte Oktober kann nur zur Arbeit erscheinen, wer den 3G-Nachweis mittels „Green Pass“ vorweist.
Pragmatismus siegt über Gleichmut
Den Italienern ist ihr „posto fisso“, ihr sicherer Arbeitsplatz, heilig. Giancarlo Mancini, einer von rund 8.000 Taxifahrern in Rom, sagt: „Wenn ich die Impfung nicht für die Arbeit gebraucht hätte, hätte ich mich nicht geimpft.“ Hier siegt der Pragmatismus von oben über den „menefreghismo“ - den Gleichmut - der Römer. Der mit Worten sparsam und gezielt umgehende Premierminister Draghi äußerte sich deutlich: „Wer dazu aufruft, sich nicht zu impfen, der ruft dazu auf, zu sterben - oder andere sterben zu lassen.“ Bislang sind in Italien in der Pandemie rund 133.000 Menschen an und mit Covid-19 verstorben. Vor allem zu Beginn der Pandemie traf es Norditalien besonders schwer.
Die Organisation der Corona-Eindämmung und damit auch der Impfung legte Draghi in die Hände eines eigens ernannten Sonderkommissars: Armee-General Francesco Paolo Figliuolo. Dieser zieht das Impfprogramm mit militärischer Disziplin und Logistik durch. Die militärischen Einrichtungen in Italien funktionieren reibungslos. Seit den bürgerkriegsähnlichen Zuständen im „autunno caldo“, dem „heißen Herbst“, 1969/70 wird konsequent auf militärische Strukturen zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit gesetzt.
Den „besten Mann für Krisenfälle“ hat Mario Draghi im März als Covid-19-Sonderkommissar gesucht. Figliuolo hat sich als solcher erwiesen. Die Impfkampagne steuert er aus Rom, trotz der Zuständigkeit der Regionen für das Gesundheitssystem. Ein Beweis für eine weitere Wesenseigenschaft der Italiener: höchste Flexibilität in problematischen Situationen.
Nur sieben Prozent lehnen Impfung kategorisch ab
Mit größtem Einsatz wurde ein Netz an Impfzentren und das System der logistischen Verteilung aufgebaut, das Personal stammt aus Freiwilligenorganisationen, der Armee, dem Zivilschutz und dem Gesundheitspersonal. Bis Ende des Jahres will der Afghanistan- und Kosovo-Veteran Figliuolo 90 Prozent aller Italienerinnen und Italiener über zwölf Jahren mindestens einmal geimpft sehen. Seit Mai gilt schon eine Impfpflicht in medizinischen Berufen, seit Oktober auch für Beschäftigte in Altenheimen.
„Whatever it takes“ - was es braucht, sind Rationalismus, Pragmatismus und straffe Organisation, um die Impfquote nach oben schnellen zu lassen und die Pandemie in den Griff zu bekommen. Das überzeugt die Italiener, von denen nur etwa sieben Prozent angeben, sich überhaupt nicht impfen lassen zu wollen.