Hannover (epd). Die Geschichte des vorbestraften, obdachlosen Mannes verstört. Bei einem Suizidversuch, bei dem der 24-Jährige von einem Zug überrollt wurde, verlor er seine Beine. Nachdem er aus dem Koma erwacht war und das Krankenhaus verlassen konnte, kam er in eine Pflegeeinrichtung. Er randalierte, beklaute seine Mitbewohner, beschimpfte das Personal und übergab sich nach Alkoholexzessen in seinem Zimmer.

Die meisten Menschen, die diese Schilderungen hören, suchen vermutlich das Weite. Nicht so Kim Fitz. Die 58-Jährige ist von Beruf rechtliche Betreuerin in der Region Hannover. Der Mann, dessen Unterstützung sie übernahm, ist einer von insgesamt 54 Menschen, die die Mutter dreier erwachsener Kinder zurzeit betreut. Daraus, dass die Betreuung des 24-Jährigen besonders herausfordernd ist, macht sie keinen Hehl. „Er hat eine einschneidende psychiatrische Gesundheitsstörung“, sagt Fitz, „die Betreuung wird voraussichtlich noch Jahre erforderlich sein.“

Suche nach Freiwilligen immer schwieriger

1992 trat das Gesetz zur „Rechtlichen Betreuung“ in Kraft. Volljährigen kann eine rechtliche Unterstützung zur Seite gestellt werden, wenn sie psychisch erkrankt, geistig oder körperlich behindert, süchtig oder dement sind und ihre rechtlichen Angelegenheiten nicht mehr regeln können. Unterstützt werden Betroffene je nach individueller Notwendigkeit in allen Belangen rund um Wohnung, Gesundheit und Vermögen sowie in Rechts-, Antrags- und Behördenangelegenheiten und bei der Aufenthaltsbestimmung.

„Die Zahl der Menschen, die Unterstützung benötigen, nimmt zu“, sagt Martin Härtel vom Team Betreuungsangelegenheiten der Region Hannover. Vor allem der ehrenamtliche Bereich macht Härtel Sorge. Die Anzahl der Helfer geht zurück. 2015 engagierten sich noch 326 Betreuer ehrenamtlich. „Wie in allen gesellschaftlichen Bereichen wird es auch hier schwieriger, Freiwillige zu finden“, sagt Teamleiterin Frauke Brinkmann.

Leben wird komplexer

Dass immer mehr Menschen eine rechtliche Betreuung benötigen und die Zahl der Betreuer parallel dazu sinkt, ist ein bundesweiter Trend. Ein Grund sei die zunehmende Individualisierung, sagt Härtel: „Großfamilien, die die demente Großmutter auffangen, gibt es heute kaum noch.“ Dazu komme eine komplexer werdende Welt, die Menschen überfordern könne. „Früher hatten die Menschen ein Telefon, einen Energieversorger - das war's. Heute müssen sie sich mit Computer, Internet, Handyverträgen, Tarifen für Mobilfunk, Gas und Strom beschäftigen“, sagt Härtel.

Haft, Psychosen, Schulden, Kündigungen, Mahnungen, Zwangsräumungen: Fitz weiß, welche Hürden das Leben bereithält und wieviel Kenntnisse und Beharrlichkeit Menschen nicht zuletzt auch im Umgang mit Behörden benötigen. Im Falle des 24-jährigen Schwerbehinderten galt es, Kostenübernahmen zu klären, eine Meldebescheinigung zu besorgen, Personalausweis und Grundsicherung zu beantragen, den Anspruch auf Abzweigung von Kindergeld geltend zu machen, den Schwerbehinderungs- und Pflegegrad feststellen zu lassen: „Ein langer Weg - wie soll das ein Mensch in solch einer Situation schaffen?“, fragt Fitz.

Rechtliche Unterstützung

Die ausgebildete Sozialpädagogin betont, dass ihre Unterstützung stets rein rechtlicher Natur ist. „Ich gehe mit den Leuten nicht Enten füttern.“ Und noch eines ist ihr wichtig: Ihre Unterstützung basiere auf Freiwilligkeit. „Gegen den Willen der Betreuten geht nichts. Dafür bräuchte ich einen gesetzlichen Beschluss.“ Als Beispiel führt Fitz Messi-Wohnungen an. „Wenn jemand bis zur Decke TV-Zeitungen stapelt, ist das seine Sache“, sagt sie. Anders sehe es bei Wohnungen mit verdorbenem Essen, Schimmel und Ungeziefer aus: „Da besteht Handlungsbedarf.“

Dass es um das Image von rechtlichen Betreuern nicht zum Besten bestellt ist, weiß Kim Fitz. Doch ihren Kopf zerbricht sie sich darüber nicht. „Wir sichern die Existenz von Menschen, die abgehängt sind und von denen viele nichts wissen wollen“, sagt sie. Zwar seien für ihren Job viel Nervenstärke und Geduld nötig, doch er habe einen unschlagbaren Vorteil: „Man kann richtig viel zum Guten bewirken.“