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Zuwanderer: Hilfe und Betreuung lange vor dem ersten Arbeitstag




Die philippinische Pflegefachkraft Irene Teologo hilft einer Heimbewohnerin im diakonischen Pflegeheim im niedersächsischen Hessisch Oldendorf (Archivbild).
epd-bild/Charlotte Morgenthal
Viele Unternehmen setzen bei der Suche nach Fachkräften gezielt auf Anwerbung im Ausland. Schon das ist oft langwierig. Doch wie gelingt die Integration neuer Beschäftigter in einem ihnen völlig fremden Umfeld? Nötig ist eine Willkommenskultur, die auf festen Strukturen gründet.

Frankfurt a.M., Rotenburg (epd). Für die Integrationsbeauftragte Eugenia Henke ist klar: „Es braucht für zuwandernde Fachkräfte systematische Schritte zum Ankommen und Hilfen bei der Integration. Das beginnt nicht erst, wenn die neuen Kolleginnen und Kollegen hier bei uns sind“, sagt die Fachfrau aus Rotenburg an der Wümme. Sie leitet im Agaplesion Diakonieklinikum seit drei Jahren die Integration von Pflegekräften von den Philippinen. Den Erfolg ihrer Arbeit sieht sie darin begründet, der Willkommenskultur in ihrem Unternehmen einen festen organisatorischen Rahmen gegeben zu haben.

Ein Selbstläufer ist die Anwerbung von Fachkräften im Ausland wahrlich nicht. Denn es gibt zahlreiche bürokratische Hürden, die Unternehmen überspringen müssen, wenn sie neue Mitarbeitende integrieren und auf Dauer im Job halten wollen. Und die bestehen überall, ganz gleich, ob es um Träger aus der Sozialbranche wie Pflegeheime oder Handwerksfirmen geht.

Verlässliche Strukturen für alle angebotenen Hilfen

„Onboarding“ kann hier helfen. Die Idee systematischer Beratung und Begleitung von Ankömmlingen bei ihrem Start am neuen Arbeitsplatz kommt aus dem Personalmanagement. Hier werden alle Maßnahmen gebündelt, die es den neuen Mitarbeitenden erleichtern sollen, sich „an Bord“ des Unternehmens und in der fremden Umgebung schnell zurechtzufinden.

Die aktuellen Daten zum deutschen Arbeitsmarkt zeigen, dass der Einsatz von zugewanderten Arbeitskräften längst im Fokus steht. Im Juli waren laut Bundesagentur für Arbeit 703.000 offene Stellen gemeldet - 2.000 mehr als noch einen Monat zuvor. Der Blick in die Zukunft zeigt: In vielen Branchen wird es ohne Zuwanderung zu bedrohlichen Engpässen beim Personal kommen. So geht das Statistische Bundesamt davon aus, dass in der Pflege bis 2049 je nach Berechnungsart zwischen 280.000 und 690.000 Fachkräfte fehlen werden. Lücken, da sind sich die Experten einig, die sich nicht ohne vermehrte Anwerbung von Arbeitskräften aus Drittstaaten schließen lassen werden.

Eine Broschüre des Projekts „Unternehmen Berufsanerkennung“ erläutert anschaulich, worauf bei diesem strukturierten Prozess bis zum Ende der Probezeit zu achten ist. Stichwort: Willkommenskultur. „Ein erfolgreiches Onboarding kann die Mitarbeiterbindung stärken und so Fluktuation verringern“, heißt es in dem illustrierten Checkheft.

Rat und Hilfe in drei Phasen gegliedert

Die Experten gliedern ihre Tipps in drei Phasen: Die erste ist überschrieben mit „Vom ersten Kennenlernen bis zur Ermittlung des Unterstützungsbedarfs“. Im Kapitel danach geht es um die Zeit von der „Vertragsunterzeichnung bis zu den letzten Schritten vor der Ankunft“. Der letzte Teilabschnitt betrifft den Zeitraum „Vom ersten Arbeitstag bis zum Abschluss der Onboardingphase“.

Die detaillierte Handreichung nennt etliche Fallstricke, die leicht übersehen werden können: Etwa wenn beim ersten virtuellen Bewerbungsgespräch die mögliche Zeitverschiebung übersehen wird, kein Übersetzer bereitsteht oder der Bewerber nicht nach schriftlichen Arbeitszeugnissen gefragt wird. Wichtig ist auch, die vorhandenen Sprachkenntnisse zu klären. Und, so die Experten: Die Arbeitsabläufe im Unternehmen und die Arbeitskultur sollten verständlich gemacht werden. Denn schon hier gehe es um die zentrale Frage: „Passt die Fachkraft in das Team und zur Unternehmenskultur?“

Vieles Wichtige kann vergessen werden

Auch sei im Lauf der Kontakte unbedingt zu klären, wie die berufliche Anerkennung in Deutschland unterstützt werden kann, wie konkrete Hilfen bei der Wohnungssuche aussehen und ob ein Mentor oder eine Mentorin im Betrieb gefunden werden soll, der oder die sich direkt um den neuen Mitarbeitenden kümmert.

In der Schlussphase gibt es ebenfalls einiges zu tun, wie etwa die Erstellung einer Begrüßungsmappe, den Rundgang im Unternehmen und die persönliche Vorstellung im Team. Hier seien auch sämtliche organisatorischen Fragen zu klären und Hilfen aller Art anzubieten, von der Nutzung des ÖPNV bis hin zur Kontoeröffnung. „Viele Tipps sollte man schriftlich geben“, so die Fachleute mit Blick auf noch bestehende Sprachschwierigkeiten. Und schließlich, falls nötig, sollte über eine Anpassungsqualifizierung gesprochen werden.

Besonders neue Mitarbeitende, die aus nicht EU-Ländern stammen, bräuchten anfangs viel Unterstützung. Für sie sei dabei alles neu: die Sprache, der Job und nicht zuletzt auch die deutsche Bürokratie. „Daher ist es für Unternehmen unerlässlich, in ein strukturiertes und gut durchdachtes Programm zu investieren, um den Erfolg und die Zufriedenheit ihrer neuen Mitarbeitenden zu gewährleisten“, so die Autorinnen und Autoren.

Alle Fäden in einer Hand

Eugenia Henke setzt auf enge persönliche Gespräche: „Lange bevor die Personen hierherkommen, besteht ein intensiver und regelmäßiger Kontakt. Denn bis zur Einreise vergehen oft mindestens anderthalb Jahre. Ich begleite sie den ganzen Weg. Alle vier bis acht Wochen sprechen wir uns online. Dabei wird schon eine Beziehung aufgebaut, die möglichst lange halten soll.“ Und das scheint zu funktionieren: 40 Pflegekräfte wurden in den zurückliegenden Jahren nach Rotenburg geholt und erlangten ihre berufliche Anerkennung. Nur in einem Fall sei eine junge Frau aus familiären Gründen in ihre Heimat zurückgekehrt.

Eigentlich, so die Fachfrau, endet der Integrationsprozess oft auch nach Jahren nicht. Die Kontakte zu den neuen Mitarbeitenden würden zwar seltener, aber es gebe immer wieder mal Bitten um Hilfe. Etwa beim Familiennachzug. „Und dann, wenn etwa Kinder, da sind, helfe ich bei der Suche nach einem Kitaplatz oder der passenden Schule.“ Die Begleitung höre nicht wirklich auf, auch beruflich nicht. Denn die neuen Kolleginnen wollten sich auch weiterbilden: „Das versuche ich dann auch zu unterstützen.“

Stammbelegschaft nicht aus den Augen verlieren

Und noch eins sei wichtig: Man dürfe auch bei allen nötigen Anstrengungen zur Integration der Zuwanderer nicht die Stammbelegschaft aus den Augen verlieren: „Beide Gruppen sind Komponenten, die auf der gleichen Waagschale liegen. Es muss auf die Belange aller Mitarbeitenden geachtet werden, nur dann gelingt eine nachhaltige Integration.“ Man müsse der Stammbelegschaft, die die gleiche tägliche Belastung im Job trägt, immer wieder signalisieren, dass auch sie wichtig sind für den Erfolg des Unternehmens. „Deshalb gibt es bei uns auch regelmäßige Treffen mit den Stationsleitungen. Die Abteilungen werden vor dem Ankommen der neuen Kolleginnen geschult, damit klar ist, welche Aufgaben jeder Einzelne im Umgang mit ihnen hat.“

Die Diakonie Hamburg betont: „Wir alle wissen: Die Einstellung neuer Mitarbeitender erfordert viel Zeit und Engagement und kostet viel Geld. Es liegt daher im Interesse eines jeden Unternehmens, die Fluktuation niedrig zu halten und neue Mitarbeitende adäquat einzuarbeiten, so dass diese sich wohlfühlen und entsprechend lange bleiben.“ Studien berichteten, dass ein strukturierter Prozess zur Willkommenskultur genau das bewirke.

Expertin sieht „noch Luft nach oben“

Auch Olivia Brohl-Schaffron, die das Projekt „Welcome Center Sozialwirtschaft Baden-Württemberg“ im Auftrag der Diakonie leitet, wirbt dafür, dass Unternehmen im Umgang mit ausländischen Fachkräften nichts dem Zufall zu überlassen. Viele Betriebe machten bei der Integration von ausländischen Mitarbeitenden dazu immerhin erste Schritte und erstellten auch Willkommensmappen. Doch vorhandene Checklisten der einzelnen Hilfen würden noch zu selten genutzt. Hier sei jedoch „noch viel Luft nach oben“, so die Fachfrau.

Doch, so hat sie beobachtet, in der Pflegebranche werde schon viel getan, auch weil hier die Suche nach Fachkräften im Ausland schon länger professionell betrieben werde. Die „technischen Dinge“ beim Onboarding-Prozess samt Checklisten seien zwar wichtig. Aber noch wichtiger sei, dass die Unternehmen eine Haltung gegenüber den Zuwanderern entwickelten: Nötig sei eine „Kultur des Miteinanders, eine Offenheit für neue Ansichten und Werte“. Und sie rät zu einem positiven Blick auf die Erfolge der Arbeitsmigration: „Es gibt viele Menschen, die zum Arbeiten zu uns kommen und die auch hierbleiben. Im Fokus stehen aber immer nur die, die wieder gehen.“

Dirk Baas


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