sozial-Branche

Pflege

Gastbeitrag

Anwerbung aus Drittstaaten - viel Aufwand, wenig Ertrag




Eugen Brysch
epd-bild/Deutsche Stiftung Patientenschutz
Der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, hält wenig von den politischen Versuchen, Pflegekräfte aus Drittstaaten nach Deutschland zu locken. Hier werde viel Steuergeld ausgegeben, aber nur wenige Menschen kämen, schreibt er im Gastbeitrag für epd sozial. Brysch stellt klar: "Es braucht vor allem binnenpolitische Lösungen für die Gewinnung von Pflegepersonal."

In allen wirtschaftlich starken Ländern herrscht Pflegenotstand. Fachkräfte sind Mangelware und am Nachwuchs hapert es. Jede Gesellschaft versucht, das Problem in Eigenregie zu lösen, und setzt dabei auf Pflegepersonal aus Drittstaaten. Deutschland bildet hier keine Ausnahme.

Da wollen und wollten auch Bundesregierungen Handlungsfähigkeit demonstrieren. Ganz nach dem Motto: Was in den 1950er, 60er und 70er Jahren durch staatliche Anwerbeprogramme geglückt ist, muss doch auch heute gelingen. So reisen Bundesminister um die Welt, geben dabei unzählige Millionen Euro Steuergelder aus und wecken nur realitätsferne Erwartungen.

Gerade erst wurde das hochgelobte Anwerbeprojekt von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) und Außenministerin Annalena Baerbock (Bündnis 90/Die Grünen) in Brasilien gestoppt. Die dort neu gebildete Regierung hatte Zweifel angemeldet, ob das wenig ambitionierte Ziel von gerade mal 700 Vermittlungen pro Jahr überhaupt erreicht werden kann. Diese Bedenken sind berechtigt angesichts von 34 professionell Pflegenden, die 2022 aus dem südamerikanischen Staat bilateral organisiert nach Deutschland kamen.

Der Bundesrechnungshof ist gefordert

Politisch geschürte Hoffnungen, verausgabte Steuermittel und Erfolg stehen hier in krassem Missverhältnis. Deshalb ist der Bundesrechnungshof gefordert, die Anwerbepraxis der Bundesregierung zu prüfen. Es darf keine weitere Zeit mit Projekten verschwendet werden, die nichts als Spesen verursachen. Viel wichtiger ist es, die Menschen zu unterstützen, die eigeninitiativ aus EU- oder angrenzenden Ländern hierzulande arbeiten wollen.

Deutschland ist sehenden Auges in die Krise geschlittert. Seit Jahren sind die Auswirkungen des demografischen Wandels für den Pflegemarkt absehbar. Aktuelle Prognosen zeichnen hier sogar noch ein düsteres Zukunftsbild. Denn es ist davon auszugehen, dass 500.000 der 1,7 Millionen sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in Krankenhäusern, stationären und ambulanten Diensten in den nächsten zehn bis zwölf Jahren in Rente gehen. Nach Berechnungen des Statistischen Bundesamts werden bis zum Jahr 2049 voraussichtlich mehr als zwei Millionen professionelle Pflegepersonen benötigt.

Und es gibt immer mehr Pflegebedürftige. Allein durch die Umstellung auf die seit 2017 gültigen Pflegegrade nahm die Zahl der Betroffenen in Pflegegrad 1 um Hunderttausende zu. Somit war der Anstieg im Jahr 2023 um insgesamt 361.000 Pflegebedürftige vorhersehbar. Leistungsanbieter und die von der Politik zu schaffenden Rahmenbedingungen sind verantwortlich dafür, eine zukunftsfähige Pflege für eine alternde Gesellschaft zu schaffen. Dabei ist der Pragmatismus zu stärken und eine überbordende Bürokratie abzubauen. Auch gilt es, sich bewusst zu machen, dass immer mehr Menschen die Attraktivität eines Berufes an der Work-Life-Balance messen. Bei einem Job mit unvermeidlichen Schichtdiensten auch an Sonn- und Feiertagen stößt dieser Fokus schnell an Grenzen.

Arbeitsmarkt für Pflegekräfte scheinbar leergefegt

Personal aus dem Ausland zu gewinnen, kann nur ein Baustein im Kampf gegen den Pflegekraftmangel sein. Obwohl der Arbeitsmarkt für Pflegekräfte hierzulande scheinbar leergefegt ist, zählte die Bundesagentur für Arbeit im Jahr 2022 rund 44.000 Pflegekräfte, die Arbeit suchten. Im gleichen Zeitraum konnten lediglich 656 Pflegekräfte außerhalb der EU staatlich gewonnen werden. Bei rund 1,7 Millionen Pflegebeschäftigten in 16.000 Pflegeheimen, 15.400 ambulanten Pflegediensten und rund 1.700 Krankenhäusern ist das nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Fakt ist auch, dass 80 bis 90 Prozent der Vermittlungen durch private Anbieter zustande kommen.

Kleingeredet wird die Herausforderung bei der Integration ausländischer Pflegekräfte in die Berufswelt. Zum einen ist in Deutschland ein B2-Sprachniveau Voraussetzung, um in der Pflege und Medizin zu arbeiten. Genau daran mangelt es bei vielen Neuankömmlingen. Es ist praktisch unmöglich, ein solches Sprachvermögen innerhalb eines Jahres zu erwerben. Doch die Patientenversorgung braucht den sicheren Umgang mit der deutschen Sprache. Nicht nur ältere Menschen haben schon jetzt Probleme, sich mit Ärzten und Pflegekräften sowohl in Kliniken als auch in der Altenpflege zu verständigen.

Auf der anderen Seite leiden insbesondere staatlich organisiert angeworbene Mitarbeiter oft an drastisch eingeschränkten Kompetenzen des Berufsstandes im Vergleich zu ihrem Heimatland. Sie wollen andere Aufgaben übernehmen als nur die Grundpflege am Menschen. Doch das bleibt ihnen hierzulande verwehrt.

Bilanz der Ausbildungsreform durchwachsen

Es braucht vor allem binnenpolitische Lösungen für die Gewinnung von Pflegepersonal. Doch auch hier haben sich die Anstrengungen der Politik bislang kaum ausgezahlt. So fällt die Bilanz der vor vier Jahren vereinheitlichten Ausbildung zur Pflegefachkraft durchwachsen aus. Verlierer dieser von Verbänden geforderten und von der Politik unterstützen Generalisierung ist die Altenpflege. Denn es besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass sich viele Ausgelernte gegen die Langzeitpflege entscheiden. Schließlich ist auch der Verdienst in Krankenhäusern deutlich höher.

Zudem bleibt es ein Kraftakt, den Nachwuchs langfristig im Job zu halten. Kompetenzen und Eigenverantwortung des pflegerischen Personals zu stärken, sind hier förderlich. Beispielsweise gehört die Verordnung von Pflegehilfsmitteln in die Hände dieser Berufsgruppe und nicht in die der Ärzteschaft.

An den Arbeitsbedingungen muss sich viel ändern

Grundsätzlich bleiben die Arbeitsbedingungen gerade in der Langzeitpflege wenig attraktiv. Würde sich daran etwas ändern, könnten sich die Hälfte der Teilzeitbeschäftigten und 60 Prozent der Ausgestiegenen eine Rückkehr in den Beruf oder ein Aufstocken der Stunden vorstellen. Damit stünden wenigstens 300.000 Pflegekräfte zusätzlich zur Verfügung.

Das größte Problem sind nicht die Löhne. Vielmehr geht es um verlässliche Dienstpläne. Spontan angeordnete Überstunden, Sonder- und Zusatzschichten zerhacken die arbeitsfreie Zeit. Zusätzlich ist weit mehr in berufsbegleitende Gesundheitsprävention zu investieren. Zu viele Pflegende scheiden vorzeitig aus, weil der Rücken geschädigt ist oder die permanent veränderten Arbeitszeiten die Erholungsphasen zerstören.

Eugen Brysch ist Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz.