Berlin, Dortmund (epd). Die Pläne von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD), in Brasilien vermehrt Pflegefachkräfte anzuwerben, stoßen bei Experten auf Kritik. Der Ansatz verkenne die Realität, erklärte die Deutsche Stiftung Patientenschutz am 5. Juni. Mit der Anwerbung von Personal sei es nicht getan, auch die Integration der neuen Mitarbeitenden müsse besser gestaltet werden, bemängelte die Ruhrgebietskonferenz Pflege in Dortmund.
Heil war gemeinsam mit Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) nach Brasilien gereist, um die Partnerschaft zur Gewinnung von gut ausgebildeten Fachkräften auszubauen. Er unterzeichnete laut Ministerium mit seinem brasilianischen Amtskollegen Luiz Marinho eine gemeinsame Erklärung für „faire Einwanderung“. Derzeit würden in dem südamerikanischen Land vermehrt Möglichkeiten geschaffen, um zukünftige Pflegekräfte insbesondere für den deutschen Arbeitsmarkt auszubilden. Nun sollen die zuständigen Behörden ihre Zusammenarbeit intensivieren.
Aktuell arbeiten nach Heils Angaben weniger als 200 brasilianische Pflegekräfte in Deutschland. Die Bundesagentur für Arbeit (BA) hält laut einem Bericht der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ die Anwerbung von bis zu 700 Pflegekräften pro Jahr für möglich. In Brasilien gebe es insgesamt 2,5 Millionen Krankenpflegerinnen und Krankenpfleger. Die Arbeitslosenquote in dem Sektor lag nach den Angaben 2021 bei mehr als zehn Prozent.
Heil betonte, die Probleme infolge des Fachkräftemangels ließen sich durch inländische Potenziale nicht beheben. Das gelte für Verbesserungen bei der Aus- und Weiterbildung genauso wie für die Steigerung der Erwerbstätigkeit von Frauen und Älteren. Nach einer Schätzung des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) sinkt die Zahl der Menschen, die dem deutschen Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen, bis 2060 voraussichtlich von 45,7 Millionen auf 40,4 Millionen.
In der Pflege sei der Bedarf an Fachkräften in Deutschland groß, während es in Brasilien einen Überhang an gut ausgebildeten Kräften gebe, sagte der Minister. Heil besuchte in der Hauptstadt Brasilia eine Ausbildungsstätte der Katholischen Universität.
Schon im Mai bei der Ankündigung der Reise hatte Heil gesagt, man werde „sehr sensibel vorgehen, damit wir keinem Land die Arbeitskräfte nehmen, die es selber braucht“. Und: „Wir profitieren, die Herkunftsländer profitieren, etwa indem wir uns in der Ausbildung vor Ort engagieren, und die Menschen, die zu uns kommen, profitieren: durch einen gut bezahlten Job für sie selbst und vielleicht auch durch die Möglichkeit, Familienangehörige in der Heimat finanziell zu unterstützen.“
Basis der nun ausgebauten Kooperation ist eine schon bestehende Vereinbarung der Bundesagentur für Arbeit (BA) mit der brasilianischen Pflegekammer Cofen aus dem Jahr 2018. Darin stehen Regeln zur Bewerberauswahl, zum Vermittlungsprozess, zum Spracherwerb und zur Anerkennung beruflicher Qualifikationen.
„Seit Jahrzehnten fliegen Bundesminister um die Welt und wecken überall große Erwartungen, die in der Realität platzen“, kritisierte Eugen Brysch, Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz in Dortmund. „2022 konnten nur 656 Pflegekräfte außerhalb der EU gewonnen werden. Davon kamen 34 professionell Pflegende aus Brasilien.“ Diese Fakten seien sehr ernüchternd.
Das Dilemma der Personalnot müsse im Inland gelöst werden, erklärte Brysch. Die Planbarkeit der Arbeitszeiten sei weiterhin mangelhaft. Überstunden, spontane Freizeit- und Urlaubsunterbrechungen seien Alltag. Auch würden die beiden Minister die Herausforderungen für viele ausländische Pflegekräfte bei der Integration in den deutschen Arbeitsmarkt verkennen. Denn oft litten im Ausland angeworbene Mitarbeiter an drastisch eingeschränkten Kompetenzen des Berufsstandes im Vergleich zu ihrem Heimatland. „Auch hier ändert sich in Deutschland nichts“, rügte Brysch.
Die Ruhrgebietskonferenz Pflege stellte die Frage, wie es um die Erfolge solcher Initiativen im Ausland stehe. „Wir müssen uns ehrlich machen und eine offene Diskussion über die Grenzen und Hindernisse der Integration führen. Der Transfer ausländischer Arbeitskräfte wird den Personalmangel in der Langzeitpflege nicht alleine beheben. Er kann aber Teil der Lösung sein“, sagte Ulrich Christofczik, Vorstand vom Christophoruswerk und Geschäftsführer der Evangelischen Altenhilfe Duisburg.
Um auf Dauer einen fortlaufenden Zufluss von dringend benötigten Arbeitskräften aus dem Ausland zu gewährleisten, würden professionelle und tragfähige Unterstützungsstrukturen innerhalb und außerhalb der Einrichtungen und Dienste gebraucht.
Dem Trägerverbund zufolge könne sich nicht jedes Pflegeunternehmen den Aufbau eines eigenen Integrationsmanagements leisten. Krankenhäuser und große Verbünde hätten erhebliche Wettbewerbsvorteile. „Gerade kleine und mittlere Pflegeunternehmen laufen Gefahr, von dem Zufluss ausländischer Arbeitskräfte abgehängt zu werden.“