Bielefeld, Berlin (epd). Die Stele mitten auf dem Bielefelder Bethel-Platz steht für Leid und Unrecht. In einem durchsichtigen Kubus erinnern mehr als 1.000 aufgetürmte Papierbögen mit handschriftlich verfassten Texten an Menschen, die während des Nationalsozialismus in Bethel zwangssterilisiert wurden. In den vergangenen Jahren haben diakonische Träger und Einrichtungen die dunklen Phasen ihrer Geschichte erforschen lassen und Gedenkorte geschaffen. Die Jubiläumsfeiern zum 175-jährigen Bestehen der Diakonie sollen auch die Schattenseiten der Diakonie-Geschichte in den Blick nehmen.
Hilfsbedürftigen Menschen sei mitunter schreckliches Leid zugefügt worden, erklärt Bethel auf seiner Internetseite. „Auch Bethel kann sich davon nicht freisprechen.“ Heute gebe es eine jedoch eine gelebte Erinnerungskultur, gestützt und inspiriert durch die historische Aufarbeitung der eigenen Vergangenheit.
„Das Versagen während des Faschismus, vor allem angesichts der sogenannten Patientenmorde, ist wohl das finsterste Kapitel“, sagt Diakonie-Präsident Ulrich Lilie mit Blick auf das Jubiläum. Nach dem Zweiten Weltkrieg sei dann Heimkindern viel Leid geschehen. Dies sei intensiv aufgearbeitet worden. Derzeit würden gemeinsam mit der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) die Fälle von Missbrauch und sexualisierter Gewalt wissenschaftlich erforscht.
Diakonische Einrichtungen und Träger wie die v. Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel in Bielefeld, die Hoffnungstaler Stiftung Lobetal bei Berlin, das evangelische Stephansstift in Hannover oder Eben-Ezer in Lemgo erinnern an die Opfer der sogenannten „Euthanasie“ der Nationalsozialisten. Mit der „T4-Aktion“ begannen 1939 Nationalsozialisten die systematische Tötung von geistig behinderten und psychisch erkrankten Menschen. Auch aus diakonischen Einrichtungen wurden von den Nationalsozialisten Menschen abtransportiert und ermordet.
Gegen die Transporte leisteten einzelne Pfarrer und Einrichtungsleiter Widerstand. Dafür stehen beispielsweise der frühere Leiter der Lobetaler Anstalten, Gerhard Braune, oder der Bethel-Leiter Friedrich v. Bodelschwingh der Jüngere. Die Proteste seien auf evangelischer Seite jedoch vereinzelt und nicht organisiert gewesen, sagt der Bielefelder Historiker und Diakonie-Experte Hans-Walter Schmuhl. Oft habe man sich „für eine Art teilnehmenden Widerstand“ entschieden. Das habe zwar dazu geführt, dass Einzelne bewahrt worden seien. Den Abtransport anderer habe man dadurch aber nicht verhindern können.
Ein weiteres dunkles Kapitel, Misshandlung und Missbrauch in Kinder- und Jugendheimen in der Nachkriegszeit, ist von diakonischen Trägern in den vergangenen Jahren mit Studien, Tagungen und Gedenkveranstaltungen aufgearbeitet worden.
Nach einer anfänglichen Lernphase in den 1990er Jahren gehe die Diakonie inzwischen „sehr offen und offensiv“ mit den dunklen Kapiteln ihrer Geschichte um, sagte Schmuhl dem Evangelischen Pressedienst (epd). „Es wird nicht mehr abgewartet, dass von außen Dinge skandalisiert werden, sondern kritische Themen werden schon prospektiv angegangen.“
Der geänderte Umgang zeigt sich beispielsweise bei der Diakonischen Stiftung Wittekindshof in Bad Oeynhausen: Nach dem Bekanntwerden von möglichen Übergriffen in einem heilpädagogischen Intensivbereich im Jahr 2019 hat der Wittekindshof die betroffene Abteilung aufgelöst und Beschäftigungsverhältnisse beendet. Außerdem hat die Stiftung umfangreiche Strukturreformen zur Prävention auf den Weg gebracht.
Das Jubiläumsjahr werde in „selbst-bewusster, selbstkritischer, nachdenklicher Tradition begangen, sagte Diakoniechef Lilie. “Wir feiern kein Halli-Galli-Jubiläum unter der Überschrift 'Ach, was sind wir doch so toll'", unterstreicht er.