Bensheim (epd). In der Ukraine wird es nach Ansicht der Ostkirchen-Expertin Dagmar Heller künftig zwei orthodoxe Kirchen geben, die sich gegenseitig nicht anerkennen: die am 15. Dezember auf dem "Vereinigungskonzil" neu gegründete ukrainisch-orthodoxe Kirche und eine, die zum russischen Patriarchat gehört. Letztere werde eine wesentlich geringere Rolle in der Gesellschaft spielen. "Russland und alles Russische wird als feindlich angesehen", sagte die Referentin für Orthodoxie am Konfessionskundlichen Institut des Evangelischen Bundes in Bensheim dem Evangelischen Pressedienst (epd).
Bislang gab es in dem osteuropäischen Land drei orthodoxe Kirchen, eine unter russischem Patriarchat und zwei, die sich 1992 beziehungsweise um 1920 abspalteten. Die ukrainisch-orthodoxe Kirche unter russischem Patriarchat ist laut Heller autonom, nur ihr Oberhaupt wird von Moskau bestimmt. Ein russisches Feindbild mit dieser Kirche zu verbinden, sei nicht richtig, sagte Heller. "Die Menschen in diesen Gemeinden sind ebenso loyale Ukrainer wie alle anderen." Theologische Unterschiede gebe es ebenfalls nicht.
Die russisch-orthodoxe Kirche akzeptiert die Gründung nicht
Obwohl die neu gegründete Kirche offiziell alle drei ukrainisch-orthodoxen Kirchen vereinen wolle, seien de facto nur die beiden Ableger in ihr vertreten, sagte Heller. "Die russisch-orthodoxe Kirche akzeptiert die Gründung nicht." Die neue Kirche werde ihre Autokephalie, also ihre Eigenständigkeit, vom Patriarchen von Konstantinopel erhalten, dem in der Orthodoxie ein Ehrenvorsitz zusteht. Die zukünftige Stellung der neuen Kirche werde davon abhängen, ob die anderen orthodoxen Kirchen sie anerkennen. Dies sei aber noch offen.
Die kirchenrechtliche Beurteilung der Neugründung hängt laut Heller von der jeweiligen Perspektive ab. Aus russischer Sicht verstoße die Gründung gegen das Kirchenrecht, weil es in einem bestimmten Land nur eine orthodoxe Kirche geben kann und in der Ukraine eine solche bereits existiert - unter Moskauer Patriarchat. Aus Sicht des Patriarchats von Konstantinopel gehe es um die Heilung einer Spaltung, die dem Ehrenvorsitz zusteht, sofern er darum gebeten wird.
Kirchengründung hat auch politische Gründe
"Die beiden Ableger waren lange unkanonisch, wurden also in der Orthodoxie nicht anerkannt." Dies habe sich erst geändert, als der Patriarch von Konstantinopel, Bartholomäus I., sie vor kurzer Zeit kanonisiert habe. "Das bedeutet aber nicht, dass alle orthodoxen Kirchen sie anerkennen."
Über die Gründe, warum Bartholomäus I. der neuen Kirche die Autokephalie zugesprochen hat, kann laut Heller nur spekuliert werden. "Die Politik ist auf jeden Fall involviert." Der Gründungsprozess sei nach einem Besuch des ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko bei Bartholomäus eingeleitet worden. Der Staatschef sei zudem auf dem "Vereinigungskonzil" gewesen: "Für Poroschenko ist die Neugründung im Wahlkampf ein großer Erfolg." Eine direkte Einflussnahme des Kremls durch die orthodoxe Kirche unter russischem Patriarchat, wie von Poroschenko behauptet, habe es aber vermutlich nicht gegeben.