Bremen (epd). Eigentlich gilt ja: Über Tote schreibt und spricht man nicht schlecht. "Von allen Menschen gehn immer nur die guten", singt folgerichtig Liedermacher Reinhard Mey mit Blick auf die Todesanzeigen, die er in der Zeitung studiert. Doch manchmal kommt es doch zum Tabubruch, hat die Psychologin Margit Schröer festgestellt. So beschreiben die Angehörigen eines Philosophieprofessors den verstorbenen 91-Jährigen als "Personifizierung geistigen Hochmuts und menschlichen Versagens". Einem anderen Toten wird ein "Charakter wie Beton" attestiert.
Wenn Schröer auf Todesanzeigen zu sprechen kommt, leuchten ihre Augen. "Das ist eine kulturgeschichtliche Fundgrube", schwärmt die 71-Jährige, die seit vier Jahrzehnten sammelt. Aus ihrem Fundus von mittlerweile mehr als 35.000 Anzeigen hat die Düsseldorferin zusammen mit der Palliativmedizinerin Susanne Hirsmüller (56) am Freitag auf der Bremer Kongressmesse "Leben und Tod" einige Exemplare vorgestellt. Dokumente, die einen Bogen von konventionell bis schrill, von tieftraurig bis humorvoll spannen.
Krach und Rache
Seit Erscheinen der ersten deutschen Todesanzeige 1753 im "Ulmer Intelligenzblatt" seien die Bekanntmachungen einem steten Wandel unterworfen, meint Schröer. Doch damals wie heute sagten sie viel über Verstorbene, Angehörige, Freundeskreis und Kollegium aus. Es seien "Kurzromane über das Leben und Sterben".
Besonders dann, wenn sie von den Verstorbenen selbst gestaltet wurden. So ließ Hans Weichlein aus Hannoversch Münden 2012 als "Letzte Meldung" veröffentlichen, jedem, den er irgendwann mal kritisiert oder auf den Arm genommen habe, versichere er: "Ich habe es gerne getan, es war ein Riesenspaß."
Bundesweit Schlagzeilen machte vor knapp zwei Jahren Hubert Martini aus Trier, der in seiner selbst verfassten Todesanzeige seine Geschwister "und deren Partner und Nachkommen" von der Trauerfeier auslud. Die einen sprachen von der "ehrlichsten Traueranzeige Deutschlands", andere kritisierten den öffentlichen Pranger. "Es gibt eben nicht nur den 'tollsten Opa der gesamten Galaxie', sondern auch Beispiele aus der Kategorie Krach und Rache", meint Schröer.
Doppeldeutig könnte es verstanden werden, wenn es heißt: "Er war ein Mann wie ein strahlender Stern. Sein Schweif glühte für uns alle." Und zunehmend häufiger melden sich auch Haustiere zu Wort, wie etwa Chica, die Frauchen Evelin verloren hat und fragend trauert: "Merkst Du, wie meine Pfoten mit aller Zärtlichkeit rumwühlen in der schönen Vergangenheit? Merkst Du, wie ich belle beim Gedanken daran, dass wir uns wiedersehen?" Manchmal werden unter den Kondolierenden auch bereits Verstorbene (mit einem Kreuz hinter dem Namen) oder Ungeborene (mit XX oder XY hinter dem Namen) aufgeführt.
Selbstinszenierung
Früher seien die Botschaften seriös und dann konventionell gewesen. "Heute sind sie zunehmend individuell", bilanziert Schröer. Als Psychologin sieht sie darin auch eine öffentliche Selbstinszenierung der Trauernden und der Toten. Beispielsweise in den Botschaften, die Fotos der Verstorbenen transportieren: "Manchmal ist in der Todesanzeige einer 83-Jährigen das Porträt aus der Jugend zu sehen, manchmal aber auch ein Foto mit Rollator, Gehhilfen und Mütze auf dem kahlen Kopf."
QR-Codes auf den Anzeigen lassen die Tote noch einmal singen. Andernorts verraten Sätze, dass der Tod herbeigesehnt wurde wie bei Hilde Müller, die mit fast 102 Jahren gestorben ist und mit den Worten zitiert wird: "Manchmal wünsche ich mir, dass ich morgens aufwache und feststelle, dass ich gestorben bin." Und zuweilen sprechen skurril verpackt die Wechselfälle des Lebens aus den Formulierungen. Gerda Vera Wilke, mit 86 gegangen, formulierte es laut Todesanzeige so: "Das Leben ist nicht nur littiti, sondern auch mal lattata."