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Armut

Die wichtigsten Kritikpunkte an Hartz IV




Hartz IV: Das bedeutet für viele Menschen ein Leben am oder gar unter dem Existenzminimum.
epd-bild/Jens Schulze
Seit seiner Einführung im Jahr 2005 ist Hartz IV umstritten. Nun will sich die SPD-Chefin davon lösen. Denn das Agenda-2010-Konzept des "Forderns und Förderns" ist für die Betroffenen nicht aufgegangen, wie offizielle Statistiken zeigen.

Die Kritik am Hartz-IV-System nimmt zu. Die Parteivorsitzenden von SPD und Grünen, Andrea Nahles und Robert Habeck, wollen das Arbeitslosengeld II durch eine neue Leistung der Grundsicherung ersetzen. Sozialverbände und Linke, die Hartz IV seit seiner Einführung zum 1. Januar 2005 ablehnen, scheinen nun in dieser Frage mehr Gehör zu finden. Was sind die wesentlichen Argumente ihrer Kritik?

Regelsatz "systematisch kleingerechnet"

Die Hartz-IV-Regelsätze sind nach Ansicht von Sozialverbänden zu niedrig. Sie reichten nicht aus, um damit den täglichen Bedarf zu decken. Sie seien "systematisch kleingerechnet" worden, stellte die Armutsforscherin Irene Becker 2016 in einem Gutachten fest. Die Diakonie und der Paritätische Wohlfahrtsverband fordern für einen alleinstehenden Erwachsenen 571 Euro pro Monat statt des aktuellen Regelsatzes von 416 Euro. Auch die Herleitung der Hartz-IV-Regelsätze für Kinder weist nach Ansicht des Verbandes "schwere methodische Mängel" auf und sie seien nicht ausreichend bemessen.

Nicht immer erhalten Langzeitarbeitslose Arbeitslosengeld II. Vor Leistungsbezug prüfen die Behörden, ob der betroffene Erwerbslose oder sein Partner noch über Vermögen verfügen, die über dem sogenannten Schonvermögen liegen. Bei einem 50-jährigen Erwachsenen liegt dieser Betrag bei 8.250 Euro. Alles, was darüber liegt, muss der Erwerbslose zuerst aufbrauchen, bevor er die staatliche Hartz-IV-Leistung erhält.

In den knapp 14 Jahren, seit die Hartz-Gesetze gelten, hat die Armut in Deutschland trotz sinkender Zahlen registrierter Arbeitsloser und trotz einer guten konjunkturellen Entwicklung zugenommen. Obwohl die Arbeitslosenquote von 11,7 Prozent (2005) auf 5,7 Prozent (2017) sank, stieg der Anteil der Einkommensarmen von 14,7 Prozent im Jahr 2005 auf 15,8 Prozent im Jahr 2017, wie die Zahlen des Statistischen Bundesamtes belegen. Viele Menschen blieben trotz Arbeit arm.

Prekäre Arbeitsverhältnisse

Der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, Ulrich Schneider, kritisiert: "Die soziale Absicherung bei Arbeitslosigkeit ist völlig unzureichend." Die Folge: Arbeitslose werden relativ rasch arm. Das hat verschiedene Ursachen. Zum einen wurde mit dem Hartz-IV-Gesetz die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes verkürzt, zum anderen wurde die frühere Arbeitslosenhilfe abgeschafft. An ihre Stelle trat der Hartz-IV-Satz, der bei den meisten Erwerbstätigen deutlich niedriger liegt als die Arbeitslosenhilfe. Der Anteil der Hartz-IV-Bezieher unter den Arbeitslosen stieg in zehn Jahren von 57 auf fast 70 Prozent. Umgekehrt ging der Anteil der Bezieher von Arbeitslosengeld I von 43 auf 30 Prozent zurück.

Als eine wesentliche Ursache für die Armutsentwicklung führen Kritiker außerdem die seit Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) verfolgte Arbeitsmarktpolitik der Bundesregierung an. Kennzeichen der Agenda 2010 seien vor allem die gesetzlich forcierte Ausweitung der Leiharbeit sowie neue Möglichkeiten für Unternehmen, befristete Arbeitsverträge abzuschließen. Unter den Hartz-IV-Bedingungen seien viele Menschen gezwungen, sich auf prekäre Arbeitsverhältnisse einzulassen.

Verharren in Hartz IV

Denn für arbeitslose Hartz-IV-Bezieher erklärte der Gesetzgeber praktisch jedes vom Jobcenter offerierte Angebot für zumutbar. Wer ein Stellenangebot nicht annimmt, wird vom Jobcenter mit Sanktionen, sprich Leistungskürzungen bestraft - und fällt damit für eine gewisse Zeit unter das staatlich definierte Existenzminimum.

Die offiziellen Statistiken zeigen: Die Erwartung, dass die Menschen nur sehr kurzfristig Hartz IV beziehen werden, da sie schnell in eine auskömmliche Erwerbstätigkeit vermittelt werden, wurde enttäuscht. Wie schon beim Inkrafttreten von Hartz IV am 1. Januar 2005 liegt die Zahl der Hartz-Bezieher auch heute noch bei sechs Millionen Personen. Nach den Zahlen der Bundesagentur für Arbeit beziehen knapp eine Million Menschen seit 2005 durchgängig Hartz IV. Gut drei Viertel benötigen mehr als ein Jahr, um aus dem Hartz-IV-Bezug herauszukommen; 41 Prozent brauchen vier Jahre oder noch länger. Sie leben in Einkommensarbeit und ohne echte Jobperspektive.

Markus Jantzer


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