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Armut

Gerhard Schröder und seine "Agenda 2010"




Demonstration gegen Hartz IV in Berlin
epd-bild/Stefan Boness
Im März 2003 läutete Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) seine "Agenda 2010" ein. Die rot-grüne Bundesregierung legte fortan die Weichen in der Sozial- und Arbeitsmarktpolitik um.

Kern der Agenda 2010 waren die Hartz-Reformen, ein drastisches, nach und nach umgesetztes Reformprogramm neoliberaler Prägung, gegen das die Gewerkschaften Sturm liefen und Zigtausend Menschen zu Demonstrationen auf die Straße brachten.

Schröder sah sich unter Zugzwang, sprach mit Blick auf Deutschland vom "kranken Mann Europas", auch, weil die Zahl der Arbeitslosen auf über vier Millionen Menschen gestiegen war - und Besserung der wirtschaftlichen Lage nach gängiger Meinung nicht in Sicht war. Die Wirtschaft stagnierte, Investitionen gingen zurück und die staatlichen Sozialausgaben stiegen weiter an.

Gesundung sollte die Agenda 2010 bringen. Schröder wollte die Sozialsysteme sanieren, die Lohnnebenkosten auf unter 40 Prozent drücken und vor allem den Arbeitsmarkt flexibler gestalten, wovon er sich mehr Jobs versprach: "Wir werden die Leistungen des Staates kürzen, Eigenverantwortung fördern und mehr Eigenleistung von jedem Einzelnen abfordern müssen." Von da an war das Motto der künftigen Arbeitsmarktpolitik in der Welt: fördern und fordern.

Hartz wird unfreiwilliger Namenspatron

Die Reformen erfolgten schrittweise. Das Gesetzespaket Hartz I und II lehnte sich an die Vorschläge einer von Peter Hartz, damals Personalchef bei VW, geführten Kommission (Titel "Moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt") an. Später wurde er unfreiwillig Namensgeber jenes Gesetzes, das bis heute umstritten ist: Hartz IV.

Eingeführt wurden privat organisierte "Personal Service Agenturen", die Zeitarbeiter an Firmen verleihen, Mini-Jobs wurden bis 400 Euro abgabenfrei gestellt, sogenannte "Ich AGs" sollten die Selbstständigkeit fördern, Arbeits- und Sozialämter wurden zu Jobzentren zusammengelegt. Mit den Gesetzesreformen Hartz III und IV wurden zwei wichtige Komplexe geregelt: Der Umbau der Bundesanstalt für Arbeit und die Zusammenlegung der Arbeitslosen- und Sozialhilfe.

Im Januar 2005 trat das Hartz-IV-Gesetz in Kraft. Es bedeutete einen Paradigmenwechsel. Die aus Steuermitteln finanzierte Arbeitslosenhilfe wurde abgeschafft und mit der Sozialhilfe zusammengelegt. Künftig gab es bei Jobverlust Arbeitslosengeld I und II. Die Betreuung der Arbeitssuchenden wurde verbessert, denn zum Kern der Reformen gehört es, Arbeitslose zu aktivieren, zu qualifizieren und zu vermitteln, anstelle sie möglichst lange zu staatlich zu alimentieren.

Reformen im Kern unverändert

All das war jedoch nicht in Stein gemeißelt: Hartz IV wurde mehrmals nachgebessert, der Regelsatz erhöht und ein Bildungspaket für bedürftige Kinder eingeführt.

Im Kern blieb die Reform aber bis heute bestehen - und spaltet weiter die Nation. Zwar sind Arbeitslosengeld II-Bezieher mit Mini-, Midi- und Teilzeitjobs in der Lage, wenigstens einen Teil ihres Lebensunterhalts selbst zu verdienen. Doch rund 350.000 Menschen, die in Vollzeit arbeiten, sind aufgrund ihrer Niedriglöhne gezwungen, ihr Einkommen mit Hartz IV aufzustocken. Denn bis heute besteht das Grundproblem darain, dass es bundesweit immer weniger ausreichend gut bezahlte Jobs für Personen mit geringer Qualifikation gibt.

Folglich hält sich die Begeisterung über Schröders Reformen und ihre Folgen für den Arbeitsmarkt auch bei vielen Forschern in Grenzen. "Die Apologeten der Agenda 2010 verfallen bei ihren Feiern einer großen Illusion", urteilt der Ökonom Gustav Horn.

Dirk Baas


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