Frankfurt a.M. (epd). In der Sozialbranche wird die Initiative der Bundesregierung für ein Zuwanderungsgesetz begrüßt. Ein wesentlicher Beitrag, um die Fachkräftelücke zu schließen, wird hiervon allerdings nicht erwartet. So betonte die Diakonie Neuendettelsau, die mit 7.200 Mitarbeitern eines der größten diakonischen Unternehmen in Deutschland ist, gegenüber dem Evangelischen Pressedienst (epd): "Es ist offensichtlich, dass dem Fachkräftemangel auf ganz unterschiedlichen Wegen begegnet werden muss." Die Diakonie Neuendettelsau werbe bereits seit Jahren Arbeitskräfte aus Drittstaaten an - auch ohne ein Zuwanderungsgesetz.
Im September beginnt die Berliner Paul Gerhardt Diakonie nach eigenen Angaben im Rahmen eines Modellprojekts des Bundeswirtschaftsministeriums, 15 junge Menschen aus Vietnam zu Krankenpflegern auszubilden. Ein Teil der Vietnamesen hat im eigenen Land bereits eine Pflegeausbildung auf Bachelor-Niveau abgeschlossen, wie das Unternehmen dem epd mitteilte. Seit Jahresbeginn lernen die elf Frauen und vier Männer in einer Sprachschule in Hanoi die deutsche Sprache, um die Stufen A1 bis B2 zu erreichen. Wohnen werden sie ab September auf dem Gelände des Evangelischen Johannesstifts in Berlin-Spandau. Ziel sei es, dass die Pflegekräfte aus Vietnam langfristig in Berlin bleiben und damit die Personalmisere ein wenig lindern.
Die in Vietnam erworbenen Fähigkeiten genügen der Paul Gerhardt Diakonie nicht. "Diese Kompetenzen werden in Deutschland komplettiert", sagt Martin von Essen, Vorstandssprecher des diakonischen Unternehmens, bei dem rund 8.900 Beschäftigte angestellt sind. "Gerade an Menschen, die im sensiblen Bereich der Pflege von Menschen tätig sind, sind umfassende Ausbildungsansprüche zu stellen."
Die Anwerbung von Personal aus Drittstaaten ist für den Vorstandssprecher des evangelischen Sozialunternehmens nur einer von vielen Ansätzen, um dem Fachkräftemangel zu begegnen. Die Qualifizierung von Fachfremden, die Technisierung und Digitalisierung der Pflege, Pflegezeit für Berufstätige, die Einbindung von Ehrenamtlichen und vieles mehr zählt von Essen ebenfalls dazu. "Ein wichtiger und noch ausstehender Schritt wäre eine deutlich bessere Bezahlung von Pflegekräften. Dafür machen wir uns stark", sagte von Essen. Auch Mathias Hartmann, Vorstandsvorsitzender der Diakonie Neuendettelsau, hält "attraktivere Rahmenbedingungen für die Berufe im Gesundheits- und Sozialwesen für wichtig, um mehr Schulabsolventen für die Branche zu gewinnen".
Für von Essen ist es unverzichtbar, dass die ausländischen Fachkräfte der deutschen Sprache mächtig sind. Denn: "Soziale Arbeit findet in der Regel in Situationen statt, in denen Menschen in einer Krise oder auf unmittelbare Hilfe angewiesen sind. Da ist es wichtig, dass man den anderen versteht. Es ist dazu aber nicht notwendig, dass man das Futur II richtig zu gebrauchen weiß." Nach Auffassung des Chefs der Diakonie Neuendettelsau, Hartmann, ist die in den Eckpunkten zum Zuwanderungsgesetz vorgesehene Förderung von Sprachkursen im Ausland "sehr wichtig".
Auch für die Gewerkschaft ver.di steht fest: Gute Sprachkenntnisse sind eine Voraussetzung für die Tätigkeiten im Gesundheitswesen. Nicht nur um sich mit dem Patienten zu verständigen. "Sprachkenntnisse sind auch für den Austausch mit den Kollegen wichtig, denn die Arbeit im Gesundheits- und Sozialwesen ist ohne Teamarbeit kaum denkbar", sagte die Bereichsleiterin Gesundheitspolitik der Gewerkschaft ver.di, Grit Genster, dem epd. Für Pflegefachkräfte sollte bundesweit einheitlich der Nachweis von Sprachkenntnissen auf dem Niveau B2 verlangt werden, so Genster. Es sei aber auch wichtig, dass die deutschen Kollegen in ihrer Ausbildung interkulturelle Kompetenzen erwerben.
Wie Hartmann dem epd sagte, hält er eine Kenntnisstands- und Qualifikationsprüfung vor dem Arbeitseinsatz in Deutschland für notwendig. Erst dann sei zu beurteilen, ob die Fachkräfte mit ihrer Arbeitserfahrung, ihrer Qualifikation und ihrem Sprachniveau auf den deutschen Arbeitsmarkt passen.
In diesem Zusammenhang begrüßte er die in den Eckpunkten zum Zuwanderungsgesetz vorgesehene zentrale "Clearingstelle Anerkennung", die die Berufsabschlüsse prüfen soll. Auch bei ver.di stoßen die in den Eckpunkten vorgesehenen Vorhaben zur Erleichterung der Berufsanerkennung auf Zustimmung. "Im Gesundheitsbereich ist besonders der Flickenteppich an regionalen Regelungen ein Problem", sagt Grit Genster.
Sollten die Qualifikationen noch nicht ausreichen, "kann eine Anpassungsqualifizierung – verbunden mit einer maximal zwölfmonatigen Helfertätigkeit - hilfreich sein, um das nötige Niveau zu erreichen", schlägt Hartmann vor. Die Diakonie Neuendettelsau betreibe in Bayern entsprechende Fachakademien für Erzieher und Krankenpfleger. Auf diesem Feld wünscht sich der Diakoniemanager mehr finanzielle Unterstützung durch den Staat.
Für von Essen ist eines ganz klar: "Wir holen nicht nur Arbeitskräfte, sondern Menschen zu uns, mit denen wir leben wollen und die uns in einer schwierigen sozialen Situation helfen." Daher würden die jungen Vietnamesen nicht nur in ihrer Ausbildung fachlich begleitet, sondern auch bei Problemen im Alltag unterstützt.
"Wir werden alles tun, damit diese Integration gelingt", bekräftigt von Essen. Vom Staat erwarte er, dass er den Diakoniebetrieb dabei unterstützt. Das bekräftigt auch Mathias Hartmann: "Für eine gelingende Integration ist eine individuelle Begleitung durch Mentoren am Arbeitsplatz - für etwa zehn Stunden im Monat - sinnvoll. Hierfür wäre eine Bereitstellung der zusätzlichen Finanzmittel hilfreich, um die Arbeitgeber in ihren Bemühungen um eine individuelle Integration zu unterstützen."
Der Chef der Diakonie Neuendettelsau legt ein klares Bekenntnis zur Diversität in evangelischen Einrichtungen ab: "Verschiedene religiöse und kulturelle Hintergründe von Fachkräften zum Beispiel aus Asien oder Afrika sehen wir als Chance für eine Stärkung der Vielfalt unserer Mitarbeitenden in der Diakonie Neuendettelsau." Er sei überzeugt: "Kulturelle und religiöse Vielfalt sind keine Belastung, sondern eine Chance für die Diakonie."
Zu Deutschlands Engagement im Ausland hat von Essen klare Vorstellungen: "Die Finanzierung der Ausbildung von ausländischen Fachkräften für den deutschen Arbeitsmarkt sollte in den Herkunftsländern maßgeblich durch den deutschen Staat finanziert werden." Er geht noch einen Schritt weiter. Um den Herkunftsländern nicht die besten Kräfte wegzunehmen und den Fachkräftemangel in diesen Ländern zu verschärfen, sollte Deutschland nur einen Teil der Ausgebildeten anwerben, "während wir die anderen für den Arbeitsmarkt ihres Heimatlandes ausbilden. Das wäre solidarisch."