Die Politik beschäftigt einmal mehr eine grundsätzliche Frage. Es geht um eine Form der Sterbehilfe, die Hilfe beim Suizid. Ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts hat den Gesetzgeber zum neuen Nachdenken gezwungen darüber, ob er im Sinne der Selbstbestimmung für den Zugang zu tödlich wirkenden Mitteln sorgen muss, im Sinne der Menschenwürde eher davor schützen muss - oder wie er beides in Einklang bringt. Am 21. April diskutierte das Parlament zwei Stunden in einer sogenannten Orientierungsdebatte darüber - offen, ernst, teils emotional und an keiner Parteilinie entlang.

Drei Vorschläge liegen dem Parlament bislang vor, nur einer ist formell als Entwurf in den Bundestag eingebracht. Hinter den Vorschlägen verbergen sich zwei Richtungen: Zwei Gruppen werben für eine Liberalisierung der derzeitigen Regelungen, indem sie Ärzten ausdrücklich erlauben wollen, tödlich wirkende Mittel auch zum Zweck der Selbsttötung zu verschreiben. Eine andere will mit einem Gesetz eher dafür sorgen, dass Suizide verhindert werden.

"Wir sollten uns als Gesetzgeber an die Seite der Menschen stellen, die selbstbestimmt sterben wollen", sagte die FDP-Gesundheitspolitikerin Katrin Helling-Plahr, die gemeinsam mit anderen, darunter Karl Lauterbach (SPD), einen entsprechenden Entwurf eingebracht hat. Einen ähnlichen Vorschlag haben Renate Künast und Katja Keul (Grüne) vorgelegt. Für diese Richtung sprach sich im Parlament neben anderem auch der Opferbeauftragte der Bundesregierung, Edgar Franke (SPD), aus.

Eine andere Gruppe, von deren Vorschlag bislang nur Eckpunkte vorliegen, will im Gegensatz dazu bei der Strafbarkeit der geschäftsmäßigen, also organisierten, Hilfe beim Suizid bleiben und diese nur unter Bedingungen erlauben. "Hier muss der Gesetzgeber seinem Schutzauftrag nachkommen", sagte der CDU-Abgeordnete Ansgar Heveling. Die Gruppe befürchtet, dass mit einer Liberalisierung der Sterbehilfe eine Normalisierung eintritt, die Menschen zumindest subtil unter Druck setzt, die Möglichkeit auch anzunehmen. "Niemand in diesem Land soll sich überflüssig fühlen", sagte Lars Castellucci (SPD), der die Eckpunkte mit ausgearbeitet hat.

Spahn will keine Werbung für Suizidassistenz

Diese Gruppe hat Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) auf ihrer Seite. Auch er fürchtet diesen Druck. "Eine solche Entwicklung wäre für unsere Gesellschaft fatal", sagte er und sprach sich für eine Regelung aus, die Suizidassistenz nur erlaubt, wenn Ärzte vorher aufklären, gemeinnützige Beratungsorganisationen mit eingebunden sind und Wartefristen eingehalten werden. Zudem soll die Werbung für Suizidassistenz verboten werden. So sehen es auch die Eckpunkte der Gruppe vor, die dem Evangelischen Pressedienst (epd) vorliegen.

38 Abgeordnete kamen am 21. April mit jeweils dreiminütigen Reden zu Wort. Dabei äußerten sich mehr Abgeordnete für eine Regelung im Sinne der Gruppe um Heveling und Castellucci, ein repräsentatives Meinungsbild ist das aber nicht. Die Debatte wurde bewusst offen gestaltet, formelle Vorlagen gab es nicht. In jeder Fraktion gab es Befürworter der einen oder anderen Richtung.

Im Bundestag gibt es außerdem noch Unentschiedene. Claudia Moll (SPD) sagte in ihrer Rede, sie sei noch auf der Suche nach der richtigen Lösung. Als frühere Altenpflegerin habe sie Schmerz, Angst und Verzweiflung Sterbender hautnah miterlebt. Man müsse am Lebensende "nicht alles über sich ergehen lassen". Zugleich wolle sie keine Regelung, die Suizidhilfe "zu einer neuen Normalität des Sterbens macht".

Hintergrund der Debatte ist ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Februar vergangenen Jahres. Die Richter hatten das Verbot der geschäftsmäßigen Hilfe bei der Selbsttötung gekippt. Sie urteilten, dass das Recht auf Selbstbestimmung auch das Recht umfasse, sich das Leben zu nehmen und dabei die Hilfe Dritter in Anspruch zu nehmen. Suizidassistenz leistet, wer einem Sterbewilligen ein todbringendes Medikament überlässt, aber nicht verabreicht.

Ob es noch in dieser Wahlperiode zu einer Neuregelung kommt, ist offen. "Es gibt zu viele offene Fragen, als dass ein komplettes Gesetzgebungsverfahren in den verbleibenden fünfeinhalb Sitzungswochen verantwortungsvoll machbar wäre", sagte der FDP-Abgeordnete Benjamin Strasser dem epd. Die Suizidassistenz könnte auch ein Thema für den neuen Bundestag werden.