Eine bereits vollständig gegen das Coronavirus geimpfte Bewohnerin eines Altenpflegeheim hat sich vor Gericht erfolgreich gegen eine Isolierungsmaßnahme von über zwei Wochen gewehrt. Die Ordnungsverfügung der Gemeinde Altenberge vom 12. April sei aufgrund von Ermessungsfehlern rechtswidrig, heißt es in dem am 20. April veröffentlichten Beschluss des Verwaltungsgerichts Münster (AZ.: 5 L 255/21). Die Deutsche Stiftung Patientenschutz forderte, dass Pflegeheimbewohner mit Öffnungskonzepten aus dem Lockdown geholt werden.

Nach Ansicht der Richter wurden bei der verordneten isolierten Versorgung im Pflegeheim die individuellen Belange der Seniorin nicht berücksichtigt. Die Gemeinde Altenberge hatte für die über 80-jährige Seniorin die Maßnahme angeordnet, nachdem sie am 8. April Kontakt zu einer mit dem Coronavirus infizierten Person gehabt hatte. Bis einschließlich 26. April sollte es ihr demnach untersagt sein, ihre Räume ohne ausdrückliche Zustimmung des Gesundheitsamtes zu verlassen. Auch sollte sie keinen Besuch von Menschen erhalten, die nicht ihrem Haushalt angehören.

Gericht bemängelt Ermessungsfehler der Behörde

Die Frau empfand die vollständige Isolierung in ihrer kleinen Heim-Wohnung für die Dauer von zweieinhalb Wochen als unverhältnismäßig. Aus gesundheitlichen Gründen sei sie dringend auf Bewegung angewiesen, erklärte sie. Sie argumentierte zudem, bereits vollständig geimpft zu sein. Ein am 9. April durchgeführter PCR-Test auf das Coronavirus sei bei ihr negativ ausgefallen.

Die Verwaltungsrichter gaben dem Eilantrag der Frau, die vor Gericht von ihrem Sohn vertreten wurde, gegen die Verfügung statt. In Bezug auf die Antragstellerin lasse sich zwar eine wahrscheinliche Aufnahme von Krankheitserregern infolge eines Kontakts mit einer infizierten Person auch nach zwei bereits erfolgter Impfungen nicht verlässlich ausschließen, heißt es in dem Beschluss. Doch habe das Gesundheitsamt nicht einmal erwogen, der Antragstellerin Ausnahmen von der grundsätzlichen Absonderungspflicht zu ermöglichen.

Patientenschützer kritisieren Kontaktbeschränkungen

Dies wäre aber ohne weiteres möglich gewesen, erklärte die Richter. So hätte die ältere Frau mit FFP2-Masken oder Schutzkleidung ausgestattet werden können, wie sie das Pflegepersonal bei Corona-Fällen trägt. Mögliche Zusammentreffen mit anderen Bewohnern hätten zudem verhindert werden können, indem sie in nur zu einer bestimmten Zeit ihre Zimmer für ihr Sportprogramm verlässt. Der Beschluss ist noch nicht rechtskräftig. Dagegen kann innerhalb von zwei Wochen Beschwerde zum Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen eingelegt werden.

Die Deutsche Stiftung Patientenschutz kritisierte, dass trotz Zweitimpfung in den 12.000 Pflegeeinrichtungen oft strengste Kontaktbeschränkungen herrschten. Das Risikos, dass auch Geimpfte das Virus weitergeben könnten rechtfertige nicht die andauernden massiven Eingriffe, erklärte der Vorstand der Stiftung, Eugen Brysch, am Dienstag in Dortmund. "Deshalb ist überfällig, dass alle Länder die Pflegeheimbewohner mit verbindlichen Öffnungskonzepten endlich aus dem Lockdown holen", mahnte er. Das schaffe auch Handlungssicherheit für die Gesundheitsämter und Heimbetreiber. Es könne nicht sein, dass allein Gerichte Grundrechtseinschränkungen beendeten. "Die Politik muss endlich Verantwortung übernehmen", forderte Brysch.