Alles zum Mitnehmen, alles verpackt, to go oder geliefert: Thomas Fischer holt jeden Tag solche Flyer aus dem Briefkasten der Deutschen Umwelthilfe am Hackeschen Markt in Berlin. Im Viertel gibt es viel Gastronomie - "und gerade besonders viel Müll", sagt der Leiter der Kreislaufwirtschaft der Deutschen Umwelthilfe: "Wir müssen aufpassen, dass die Corona-Krise nicht auch eine Müllkrise wird."

Tatsächlich meldete der Grüne Punkt in Köln im ersten Lockdown ab März zehn Prozent mehr Verpackungsmüll in den gelben Tonnen. Auch kommunale Entsorger wie die Frankfurter Entsorgungs- und Service GmbH (FES) hatten im Frühjahr zweistellige Müllzuwächse. "An einigen Hotspots im öffentlichen Raum wie dem Opernplatz hat sich der Müll verdoppelt", berichtet FES-Sprecher Stefan Röttele. Das "Symbol der Pandemie" nannte auch die Stadt Nürnberg im Sommer ihre Pizzakarton-Berge in den Parks. Durch ein Alkoholverkaufsverbot und niedrigere Temperaturen sei das im laufenden Lockdown aber "nicht ganz so ausgeprägt", berichtet Röttele aus Frankfurt. Tatsächlich liege seit Corona in manchen Wohngebieten weniger Müll auf der Straße.

Neue Müll-Hotspots

Das deckt sich mit den Einschätzungen des Verbandes kommunaler Unternehmen: Es gibt in den Städten neue Müll-Hotspots durch To-Go-Verpackungen, etwas mehr Hausmüll, dafür etwas weniger Gewerbemüll, sagte eine Sprecherin. Eine statistische Auswertung von 2020 gibt es noch nicht. "Solange wir noch mit den akuten Folgen der Pandemie zu tun haben, sind Einwegverpackungen ein Mittel, um der Gastronomie wenigstens einen Teil der normalen Einkünfte zu sichern", erklärte der Verband auf Anfrage. "Für die Zeit danach wünschen wir uns jedoch endlich eine Kehrtwende weg von der Einweg- hin zur Mehrwegkultur."

Die macht gerade nicht nur eine Corona-Pause. 18,9 Millionen Tonnen Verpackungsmüll sind 2018 in Deutschland angefallen - so viel wie noch nie zuvor, zeigen die Zahlen des Bundesumweltamtes vom November. Einen Teil des Anstiegs führt das Amt auf To-Go-Gastronomie und den steigenden Kauf von - aufwendig verpackten - Fertiggerichten zurück. "Corona wirft uns noch weiter zurück", fürchtet Thomas Fischer von der Umwelthilfe.

Dabei ist Mehrweg mit den Corona-Regeln vereinbar: Pfand-Gefäße wandern schließlich in die Industriespülmaschine, selbst mitgebrachte Schüsseln können in einem abgetrennten Bereich befüllt werden, schreibt der Lebensmittelverband in einer Hygienehandreichung für Gastronomen. Viele Gastronomen scheuten aber noch davor zurück.

"Branche mit dem Rücken zur Wand"

Und die Kunden? "Corona ist eine Ausnahmesituation", sagt Jan-Fredrik Stahlbock von der Gesellschaft für Konsumforschung. Öffne die Gastronomie wieder normal, gehe der To-Go-Verzehr auch wieder zurück. "Eigentlich ist die Greta-Bewegung präsent, der viele Müll fällt den Leuten auch auf." 38 Prozent der Deutschen kaufen aktiv umweltbewusst, weitere 42 Prozent sind dem Thema zugeneigt, zeigt seine aktuelle Studie. Sie "würden sich im Zweifel für das umweltfreundlichere Angebot entscheiden." Dieses Bewusstsein verschwinde durch den Lockdown auch nicht auf Dauer.

Ab 2022 sollen Gastronomen hierzulande zudem verpflichtend Mehrweg-Alternativen anbieten. Der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband reagiert empört auf den gerade bekanntgewordenen Gesetzentwurf von Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD): "Einer Branche, die mit dem Rücken zur Wand steht, jetzt mit einem solchen Vorstoß zu begegnen, ist eine Zumutung", sagt Sprecher Leopold Schramek. Mehrweg oder Einweg sei eine Unternehmensentscheidung, die "maßgeblich davon abhängt, ob es gute und bezahlbare Alternativen zum Einwegkunststoff gibt".

Die gibt es durchaus, sagt Umweltschützer Thomas Fischer. 2.000 Partner hat zum Beispiel der Münchener Anbieter Recup, der ein bundesweites Pfandsystem für Kaffeebecher und inzwischen auch Schüsseln organisiert. Der leere Becher kann bei allen Partnern zurückgegeben werden und laut Unternehmen mindestens 500 Mal gespült werden. "Die Corona-Müllberge zeigen, wie dringend solche Alternativen gebraucht werden: Man muss sie nur nutzen."