Die Gruppen zu groß, zu wenig Fachkräfte: Drei Viertel der Kinder in den bundesweiten Krippen und Kindertagestätten werden einer aktuellen Studie zufolge nicht kindgerecht betreut. Der Personalschlüssel sei für rund 1,7 Millionen Kita-Kinder (74 Prozent) nicht auf deren Bedürfnisse zugeschnitten, heißt es im am 25. August veröffentlichten "Ländermonitor Frühkindliche Bildungssysteme" der Bertelsmann Stiftung. Zum 1. März 2019 kam demnach rein rechnerisch eine pädagogische Fachkraft auf 4,2 ganztags betreute Krippenkinder oder 8,8 ältere Kindergartenkinder. Laut wissenschaftlichen Empfehlungen solle sie aber für höchstens drei Kleinkinder oder 7,5 Kinder über drei Jahren zuständig sein.

Auch die Gruppengröße entspricht laut Studie oftmals nicht den Empfehlungen. Sie sollte im U3-Bereich nicht mehr als zwölf Kinder und bei den Älteren nicht mehr als 18 umfassen. Über die Hälfte (54 Prozent) der in Deutschland amtlich erfassten Kita-Gruppen lägen darüber, hieß es. Angesichts der schlechten Rahmenbedingungen fühlten sich die Kita-Teams überfordert. Gewerkschaften und Verbände forderten eine gemeinsame Initiative von Bund, Ländern und Kommunen zur Verbesserung der Erzieherausbildung, Fachkräftesicherung und Qualität der Arbeit. Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) erklärte indessen, das "Gute-Kita-Gesetz" für die frühkindliche Bildung zeige Wirkung.

Große Gruppen in NRW und Niedersachsen

Denn der bundesweite Vergleich zeigt ein großes Gefälle zwischen den Bundesländern. So war laut Studie 2019 in Bremen (1 zu 3) eine Fachkraft im Schnitt für drei Krippenkinder weniger verantwortlich als in Mecklenburg-Vorpommern (1 zu 6). In Nordrhein-Westfalen seien 70 Prozent der Kita-Gruppen zu groß, hieß es weiter. Schlechter schneidet nur Niedersachsen (78 Prozent) ab. In den fünf ostdeutschen Bundesländern ist das durchschnittlich nur bei einem Drittel (32 Prozent) der Kita-Gruppen der Fall.

Die Studie offenbart zudem qualitative Unterschiede beim Kita-Personal in Ost- und Westdeutschland: In den neuen Bundesländern ist der Anteil der ausgebildeten Erzieherinnen und Erzieher mit 82 Prozent um 16 Prozentpunkte höher als im Westen (66 Prozent). Grundlage des jährlich aktualisierten Ländermonitors sind Auswertungen von Daten der Statistischen Ämter des Bundes und der Länder.

Eine bundesweite Umfrage der Fern-Universität in Hagen im Auftrag der Stiftung gibt die aktuelle Stimmung unter den Kita-Beschäftigten wieder. Demnach sehen sie insgesamt die Umsetzung ihres Bildungsauftrages gefährdet, weil sie bei Personalmangel weniger auf die Bedürfnisse der Kinder eingehen könnten und damit eine individuelle Förderung oft in den Hintergrund trete.

Für Jörg Dräger, Vorstand der Bertelsmann Stiftung, sind die Ergebnisse ein "Appell, den Ausbau der frühkindlichen Bildung nicht schleifen zu lassen". Nötig seien mehr zusätzliche Mittel sowie bundesweit verbindliche Qualitätsstandards. Der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetages, Helmut Dedy, forderte von Ländern und Bund eine dauerhafte Finanzierungsbeteiligung. "Bisher laufen die Bundesmittel im Jahr 2022 aus", sagte er.

"Flickenteppich"

Auch der Verband Bildung und Erziehung (VBE) und das Deutsche Kinderhilfswerk mahnten mehr Kraftanstrengungen zur Verbesserung der Kita-Qualität an. "Was es jetzt braucht sind massive, nachhaltige und flächendeckende Investitionen, eingebettet in eine bundesweit abgestimmte Fachkräfteoffensive", erklärte der VBE-Bundesvorsitzende Udo Beckmann. Der "Flickenteppich" bei Qualitätsmerkmalen der Kitas in Deutschland müsse beendet werden, sagte Kinderhilfswerk-Geschäftsführer Holger Hofmann.

Marion von zur Gathen vom Paritätischen Wohlfahrtsverband forderte mehr gesellschaftliche Anerkennung für den Erzieher-Beruf. Dazu gehörten eine adäquate Vergütung und Jobbedingungen, die qualitativ gute pädagogische Arbeit erlauben. Der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte warnte: "Wenn statt ausgebildeten Erzieherinnen und Erzieher überforderte Kinderpflegerinnen und Praktikanten in den Gruppen arbeiten, dann kann eine gute Förderung nicht gelingen, dann verlieren vor allem Kinder aus sozial prekären Verhältnissen."

Die Bundesfamilienministerin wies die Kritik zurück. Das "Gute-Kita-Gesetz" mit einer Fördersumme von insgesamt rund 5,5 Milliarden Euro hat laut Giffey unter anderem dazu geführt, dass in elf von 16 Bundesländern der Personalschlüssel bereits verbessert werden konnte. Der Bund werde über 2022 hinaus mit der Verstetigung der Mittel in die frühkindliche Bildung investieren. Auch werde aus Mitteln des Konjunkturpaketes ein 1-Milliarde-Euro-Investitionsprogramm aufgelegt, mit dem 90.000 neue Kita-Plätze geschaffen werden könnten.

Kitas in NRW oft nicht kindgerecht

Die Studie lieferte genaue Zahlen für NRW: Demnach werden mehr als drei Viertel der Kinder in den Krippen und Kindertagestätten Nordrhein-Westfalens in zu großen Gruppen und mit zu wenig Erzieherinnen oder Erziehern betreut. Zum 1. März 2019 war der Personalschlüssel für rund 322.200 Kinder (78 Prozent) in den regulären Kitas nicht kindgerecht, wie der Ländermonitor ergab. Rein rechnerisch kam eine pädagogische Fachkraft auf 3,7 ganztags betreute Krippen- oder 8,6 Kindergartenkinder.

Auch die Gruppengröße, die im U3-Bereich nicht mehr als zwölf Kinder und bei den Älteren nicht mehr als 18 umfassen sollte, sei in NRW oft nicht kindgerecht, hieß es. 70 Prozent der landesweit amtlich erfassten Kita-Gruppen lägen darüber.

Beim Personalschlüssel liegt NRW zwar insgesamt über dem bundesweiten Durchschnitt von 1 zu 4,2 bei Krippenkindern und 1 zu 8,8 bei Kindergartenkindern. Doch zeigt die Studie, dass im bevölkerungsreichsten Bundesland die Betreuungsqualität noch stark vom Wohnort abhängt: So muss eine Fachkraft in Duisburg (je 1 zu 10) rein rechnerisch drei Kindergartenkinder mehr betreuen als im Landkreis Euskirchen (1 zu 7). Im Krippenbereich besteht demnach ein nicht ganz so großes Gefälle. Während in Duisburg eine Fachkraft für 4,5 Kleinkinder zuständig ist, sind es in den Landkreisen Kleve und Märkischer Kreis sowie in Mönchengladbach, Herne und Bonn nur 3,2.

Von den gut 119.300 pädagogisch arbeitenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den landesweiten Kindertagesstätten sind laut Studie 74 Prozent als Erzieherin und Erzieher ausgebildet. Damit liege NRW über dem Durchschnitt der westdeutschen Bundesländer (66 Prozent), aber unter dem der ostdeutschen (82 Prozent). Grundlage des jährlich aktualisierten Ländermonitors sind Auswertungen von Daten der Statistischen Ämter des Bundes und der Länder.

Die Bildungsexpertin der Bertelsmann Stiftung, Kathrin Bock-Famulla, mahnte bessere Rahmenbedingungen in der Kita- und Krippenbetreuung in NRW an: "Nur ein Zusammenspiel von kleinen Gruppen, genügend Personal und hohem Qualifikationsniveau ermöglicht eine kindgerechte Bildungspraxis."

Bertelsmann Stiftung fordert ebenfalls Verbesserungen in Saar-Kitas

Die Bertelsmann Stiftung fordert auch für das Saarland Verbesserungen in den Kitas und eine Gesamtstrategie für mehr gut ausgebildetes Personal. "Fast die Hälfte der Kita-Gruppen sind zu groß, die Personalausstattung nicht kindgerecht und das Qualifikationsniveau der Fachkräfte zu niedrig", sagte Bock-Famulla. "Das Saarland sollte sich in allen Bereichen verbessern."

Demnach stand zum 1. März 2019 für rund 84 Prozent der Kinder in amtlich erfassten Kita-Gruppen nicht genügend Fachpersonal zur Verfügung. Rein rechnerisch kam eine pädagogische Fachkraft auf 3,9 ganztags betreute Krippen- oder 9,6 Kindergartenkinder.

Laut Bildungsmonitor sind im Saarland 49 Prozent der Kita-Gruppen zu groß, etwas weniger als bundesweit (54 Prozent). "Zu große Gruppen bedeuten für die Kinder und das Fachpersonal übermäßigen Stress, etwa durch Lautstärke, und können dazu führen, dass entwicklungs-angemessene Aktivitäten nicht ausreichend durchgeführt werden", erklärte die Stiftung.

Die Qualifikation des saarländischen Kita-Personals sei im Vergleich zu anderen Bundesländern auf einem mittleren Niveau. Von rund 6.500 pädagogisch arbeitenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern außerhalb von Horten seien 71 Prozent als Erzieherin oder Erzieher ausgebildet.

Bock-Famulla erklärte, dass der zusätzliche Personalbedarf nicht durch einen Ausbau von Ausbildungsgängen unterhalb des Erzieherinnenniveaus angestrebt werden sollte. Um das Kita-Personal generell zu entlasten könnten auch Hauswirtschafts- und Verwaltungskräfte eingestellt werden.