Der Einfluss Rechtsextremer auf die Proteste von Gegnern der Corona-Schutzmaßnahmen hat in der Politik Sorge und Kritik ausgelöst. Seite an Seite demonstrierten am 29. August in Berlin Kritiker der Corona-Politik unter anderem mit Friedens- und Regenbogenfahnen neben Rechtsextremen mit Reichsflaggen und Neonazi-Symbolen bei Aufzügen und Kundgebungen von der Friedrichstraße bis zur Siegessäule. Die teils sehr emotionale Stimmung entlud sich am Abend auch in Gewalt. Rechtsextreme griffen Polizisten an und stürmten auf die Treppen des Reichstagsgebäudes.

Die Teilnehmer der Versammlung vor dem Bundestag, die dominiert war von sogenannten Reichsbürgern und Neonazis, durchbrachen am Samstagabend die Absperrungen zum Parlamentsgebäude. Sie stürmten die Treppen und schwenkten vor dem symbolträchtigen Gebäude die Flagge des Kaiserreichs, deren Farben schwarz, weiß und rot auch in der Flagge der Nationalsozialisten verwendet wurden.

Steinmeier: "Angriff auf das Herz unserer Demokratie"

"Reichsflaggen und rechtsextreme Pöbeleien vor dem Deutschen Bundestag sind ein unerträglicher Angriff auf das Herz unserer Demokratie", schrieb Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier auf Facebook. Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) sagte der "Bild am Sonntag", es sei unerträglich, dass "Chaoten und Extremisten" die Wirkungsstätte des Parlaments für ihre Zwecke missbrauchten.

Vize-Kanzler und SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz (SPD) sagte am 30. August in Berlin, solche Bilder vom Gebäude des Bundestags dürften nicht mehr entstehen. Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) sagte den Zeitungen der Funke Mediengruppe, gegen "diese Feinde unserer Demokratie" müsse man sich mit aller Konsequenz zur Wehr setzen. CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak forderte in der "Welt", die Schutzkonzepte staatlicher Gebäude zu prüfen.

Laschet zu Krawallen: "Das lässt mich erschaudern"

Auch der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) verurteilte die rechten Demonstranten vor dem Bundestag scharf. Das frühere Reichstagsgebäude habe all den Schrecken, Terror und Krieg überlebt, den die Nationalsozialisten entfacht hätten, sagte Laschet am 30. August "nw.de", Online-Ausgabe der in Bielefeld erscheinenden "Neuen Westfälischen". "Dass ausgerechnet an diesem Ort Rechtsextremisten die Reichskriegsflagge zeigen, lässt mich erschaudern." Er forderte eine "klare Bannmeile, die unser Parlament vor den rechten Feinden der Demokratie schützt".

"Wir brauchen auch für die gesellschaftliche Debatte Hygieneregeln", sagte der Präsident des Düsseldorfer Landtags, André Kuper: "Respekt vor der Meinungsfreiheit - statt in sozialen Medien die Meinungen anderer niederzubrüllen. Respekt vor politischem Engagement - statt politisch Tätige anzugreifen. Respekt vor politischen Institutionen - statt leichtfertig die demokratischen Grundpfeiler zu gefährden."

Schon vor der Eskalation am Reichstagsgebäude hatte es Gewaltszenen an der russischen Botschaft in der Nähe des Brandenburger Tors gegeben. Rechtsextreme wehrten sich mit Flaschenwürfen gegen die Auflösung der dortigen Versammlung durch die Polizei. Die Beamten setzten Pfefferspray ein.

2.900 Polizisten waren nach Angaben von Berlins Innensenator Andreas Geisel (SPD) am 29. August in Berlin im Einsatz. Am Sonntag wurde die Polizei von einer erneuten, offenbar spontanen Versammlung von Gegnern der Corona-Politik an der Siegessäule überrascht. Rund 2.000 Menschen versammelten sich dort nach Angaben eines Polizeisprechers. Abstände seien nicht eingehalten worden. Die Polizei habe daraufhin Platzverweise ausgesprochen, sagte der Sprecher.

Kritik an mangelnder Abgrenzung

Geisel verteidigte am 30. August das Vorgehen der Polizei, das von mancher Seite als zu zögerlich gewertet wurde. Sie sei konsequent für die freiheitlich demokratische Grundordnung eingeschritten, sagte Geisel. Auch Scholz würdigte die Beamten. Bundespräsident Steinmeier will sich nach Angaben seiner Sprecherin am 31. August mit Polizistinnen und Polizisten, die am Wochenende im Einsatz waren, im Schloss Bellevue in Berlin treffen.

Steinmeier kritisierte die mangelnde Abgrenzung der Kritiker der Corona-Politik von Rechtsextremen: "Mein Verständnis endet da, wo Demonstranten sich vor den Karren von Demokratiefeinden und politischen Hetzern spannen lassen."

Unter die Demonstrationen, zu denen die Stuttgarter Initiative "Querdenken 711" aufgerufen hatte, mischten sich an der Siegessäule und auf der Friedrichstraße offensichtliche Sympathisanten der rechtsextremen Szene. Erkennbar waren sie etwa durch Symbole und Zahlencodes, die auf den Nationalsozialismus anspielen. Der stellvertretende Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei, Jörg Radek, sagte, eine klare Distanzierung der Demo-Teilnehmer von Rechtsextremen habe er nicht wahrnehmen können.