Der Autozulieferer "Continental" in Hannover hat erstmals umfassend seine NS-Geschichte aufarbeiten lassen. "Continental war demnach Stützpfeiler der nationalsozialistischen Rüstungs- und Kriegswirtschaft", teilte das Unternehmen am 27. August mit. Eine vom Konzern in Auftrag gegebene unabhängige Studie des Münchner Historikers Paul Erker zeige zudem auf, wie der damals größte deutsche Gummi-Hersteller von der Mobilisierungs- und Aufrüstungspolitik des Regimes wirtschaftlich profitierte. Zuerst hatte "Spiegel Online" darüber berichtet.

"Die Studie zeigt: Continental war ein wichtiger Bestandteil von Hitlers Kriegsmaschinerie", sagte Elmar Degenhart, Vorstandsvorsitzender von Continental. "Wir haben die Studie in Auftrag gegeben, um über dieses dunkelste Kapitel unserer Unternehmensgeschichte noch mehr Klarheit zu gewinnen als bisher." Unter die Verantwortung solle kein Schlussstrich gezogen werden.

Zwangsarbeiter eingesetzt

Continental setzte nach der Studie im Zweiten Weltkrieg insgesamt rund 10.000 Zwangsarbeiter ein. Darunter seien italienische "Jungfaschisten" ebenso gewesen wie Leiharbeiter aus dem besetzten Belgien oder französische und russische Kriegsgefangene. Auch KZ-Häftlinge seien zum Beispiel in der Produktion von Gasmasken und bei der Verlagerung der Produktion unter Tage eingesetzt worden - unter menschenunwürdigen Bedingungen.

Laut dem am Donnerstag vorab veröffentlichten "Spiegel"-Bericht stieß Erker auf Belege, dass Continental Aufträge an das Konzentrationslager Sachsenhausen bei Berlin für Tests auf der berüchtigten "Schuhprüfstrecke" vergab. Dort mussten Häftlinge täglich 30 bis 40 Kilometer um den Appellplatz am Galgen herum laufen, um den Verschleiß von Schuhsohlen und Absätzen zu testen. Wer hinfiel, wurde von SS-Leuten erschossen. Continental sei damals auch Marktführer für Schuhsohlen und Absätze gewesen.

Aus der Studie geht laut "Spiegel" hervor, dass Continental-Techniker speziell Laufversuche bei Schnee und Eis einforderten und manche der Sohlen in kurzer Zeit bis zu 2.200 Kilometer weit getragen wurden. Der damalige Unternehmensvorstand Hans Odenwald wird in der Studie im Blick auf russische Zwangsarbeiter außerdem mit den Worten zitiert: "Wenn sie tot sind, gibt's neue."

Archiv soll geöffnet werden

Continental hat die Studie eigenen Angaben zufolge vor vier Jahren selbst auf den Weg gebracht. Sie bezieht auch diejenigen Unternehmen mit ein, die damals noch nicht Teil des heutigen Continental-Konzerns waren. Sie beleuchtet auch etwa die Firmen Teves, VDO, Phoenix und Semperit. Als Folge der Studie habe Continental das Programm "Verantwortung und Zukunft" ins Leben gerufen, hieß es. Die Studienergebnisse sollten in die Aus- und Weiterbildung einfließen und das Unternehmensarchiv anlässlich des 150. Firmenjubiläums im Herbst 2021 für die Wissenschaft geöffnet werden.

Zudem stifte Continental das neue Siegmund-Seligmann-Stipendium, mit dem die wirtschafts- und unternehmensgeschichtliche Forschung zur NS-Zeit und zur Unternehmensgeschichte der Continental gefördert werde. Der jüdische Unternehmer Siegmund Seligmann (1853-1925) war der erste Generaldirektor von Continental. Das Unternehmen wolle auch die Namen seiner früheren Zwangsarbeiter, soweit sie überliefert sind, auf einer Gedenktafel öffentlich präsentieren, hieß es.