Die Zahl der Corona-Infizierten steigt in Lateinamerika seit Wochen, ein Ende ist nicht in Sicht. Der Subkontinent hat sich zum neuen Epizentrum der Pandemie entwickelt. Fast täglich melden Länder wie Brasilien und Mexiko neue Negativrekorde bei Erkrankten und Toten. Auch in Peru, Chile, Kolumbien, Venezuela und Bolivien steigen die Zahlen stetig an.

Die Gründe für die dramatische Situation in der Region sind vielfältig und doch immer gleich. Vor allem die Armen sind auf das marode staatliche Gesundheitswesen angewiesen, sie wohnen oft beengt unter prekären hygienischen Bedingungen und können selbst bei einer Infektion nicht in Quarantäne gehen. Hinzu kommen Desinformation und Fake-News sowie ein in vielen Ländern weit verbreiteter Aberglaube. Aufklärungsmaßnahmen der Behörden, wenn es sie gibt, erreichen viel zu wenig Menschen.

Schlimmer als in Italien

Mehr als drei Millionen Menschen sind in der Region mit dem Covid-19-Virus offiziell infiziert. Wegen der geringen Testkapazität liegt die tatsächliche Zahl um ein Vielfaches höher. Rund 150.000 Menschen sind bereits gestorben. Lateinamerika ist in Bezug auf die Todesfälle die nach Europa am schwersten getroffene Region, noch vor den USA. Laut Prognosen der Weltgesundheitsorganisation könnten auf dem Subkontinent bis Oktober bis zu 438.000 Menschen an den Folgen des Virus sterben.

Brasilien, Peru und Mexiko haben am schwersten mit der Pandemie zu kämpfen. Doch die Regierungen reagieren sehr unterschiedlich - mit verheerenden Auswirkungen. Brasiliens rechtsextremer Präsident Jair Bolsonaro leugnet trotz mehr als 72.000 Corona-Toten in seinem Land immer noch die Gefährlichkeit des Virus. Auch in Mexiko spielte Präsident Andrés Manuel López Obrador lange die Pandemie herunter und lenkte erst sehr spät mit einheitlichen Schutzmaßnahmen ein. Inzwischen hat das Land mehr als 36.000 Tote zu beklagen und damit Italien überholt.

Ausbreitung trotz Ausgangsbeschränkungen

Peru verhängte bereits Mitte März, noch vor Deutschland und anderen europäischen Ländern, strenge Ausgangsbeschränkungen, die immer noch gelten. Trotzdem konnte das Virus nicht aufgehalten werden. Hauptgrund dafür ist wie in anderen lateinamerikanischen Ländern die große soziale Ungleichheit. So haben in Peru 40 Prozent der Haushalte keinen Kühlschrank. Die Menschen könnten keine Vorräte anlegen, sondern müssten regelmäßig auf den Markt gehen, erklärt der peruanische Ökonom Hugo Ñopo. Nach offiziellen Angaben waren beispielsweise 86 Prozent der Händler auf dem größten Gemüsemarkt der Hauptstadt Lima mit dem Virus infiziert. Ähnlich hoch waren die Infektionsraten auf anderen lokalen Märkten.

Statt konsequenter Aufklärung verstärkte Mexikos Präsident López Obrador den Aberglauben in seinem Land. Der beste Schutz gegen das Virus sei Ehrlichkeit, verkündet der Populist Mitte März auf einer Pressekonferenz. Dann fingerte er einen roten Stofffetzen mit dem Bild von Jesus aus seiner Hosentasche und zeigte es andächtig in die Kameras. Das Amulett sei sein Schutzschild vor einer Infektion.

Brasiliens Präsident Bolsonaro hat sich selbst mit Covid-19 infiziert, was ihn aber nicht daran hindert, regelmäßig Werbung für das umstrittene und bei Covid-19 als wirkungslos geltende Malariamittel Hydroxychloroquin zu machen. "Wir kämpfen gegen das Corona-Virus und das Bolsonaro-Virus", sagte São Paulos Gouverneur João Doria. Während die Regierung im Chaos versinkt, haben die Gouverneure im Alleingang Ausgangsbeschränkungen und Quarantänemaßnahmen umgesetzt.

Steigende Armut

Viel Lob für sein striktes Durchgreifen im Kampf gegen die Pandemie hat Argentinien erhalten. Präsident Alberto Fernández koordiniert die Maßnahmen zusammen mit den Gouverneuren, der Opposition und Wissenschaftlern. Seit dem 19. März gilt ein Ausgangsverbot. Damit konnte zwar die ungebremste Ausbreitung des Virus verhindert werden, doch der soziale Preis ist hoch. Die Armut ist extrem gestiegen und dem Land droht erneut eine Staatspleite.

Auch die Vereinten Nationen warnen vor einer Armutswelle auf dem Kontinent. Rund 45 Millionen Menschen könnten aus der Mittelklasse in die Armut rutschen, sagte UN-Generalsekretär António Guterres. Damit würden mehr als 230 Millionen Menschen auf dem Kontinent in Armut leben und die Armutsrate um sieben Prozentpunkte auf rund 37 Prozent klettern.