War das Homeoffice vor der Corona-Pandemie in vielen Branchen eher selten, so könnte der jetzige Ausnahmezustand zur Regel werden. Doch noch sind viele Fragen ungeklärt: Wie soll Büroarbeit in Post-Corona-Zeiten aussehen? Und wer reformiert das Arbeitsrecht? Deutschland befindet sich in einem riesigen Sozialexperiment - mit offenem Ausgang.

"Homeoffice ist die Zukunft der Arbeitswelt", sagen die Zukunftsforscher Daniel Dettling und sein Bruder Thomas J. Dettling. Es gehe künftig "um mehr Selbstständigkeit, um unternehmerisches Mitgestalten und um die Entfaltung aller Potenziale". Das setze jedoch ein völlig anderes Führungsverständnis von Vorgesetzten voraus: "Das hat etwas mit 'los-lassen' zu tun."

"Homeoffice kann die Autonomie der Beschäftigten erweitern oder im Gegenteil zu mehr Kontrolle führen", sagt Bettina Kohlrausch, Wissenschaftliche Direktorin des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung. Das Homeoffice leiste "der zunehmenden Kontrolle, Intensivierung und Entgrenzung der Arbeit Vorschub". Latent betroffen sind laut Deutschem Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) 35 Prozent der 44,6 Millionen Beschäftigten, die im April zumindest tageweise im Homeoffice waren.

Kein "Flurfunk"-Empfang mehr

Viele klappten anfangs begeistert ihren Laptop auf der Couch auf und betrachteten die Verbannung aus dem Büro zunächst als willkommene Abwechslung. An negative Folgen wie die soziale Isolation, fehlenden "Flurfunk" und Arbeitsschutz oder die Gefahren der Selbstausbeutung dachten die Wenigsten.

Unterdessen haben die Deutschen das Homeoffice offenbar schon wieder satt. Viele bevorzugen eine "hybride Arbeitsweise" zwischen Präsenz im Unternehmen und dem Homeoffice. Karl Edlbauer, Geschäftsführer der Stellenbörse Hokify, jüngst in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung": "Es wird sich eine Mischform einpendeln, die je nach Funktion und Branche unterschiedlich sein wird."

"Einige Arbeitnehmer erlebten eine Art Vorhölle: Homeoffice, Homeschooling, Kinderbetreuung, enge Lebensverhältnisse, Existenzängste, Überforderung. Andere beschreiben diese Zeit als wahre Glückseligkeit: Da wurde neben der Arbeit gegärtnert, getöpfert, man genoss die Entschleunigung und das Leben im Corona-Biedermeier", so der Marktforscher Stephan Grünwald. Problem für die Unternehmen: "Wer den Lockdown als eine Phase der Entspannung erlebt hat, möchte dieses Lebensgefühl nur ungern wieder aufgeben."

Umfragen spiegeln indes eine andere Sicht. Das Forschungsinstitut YouGov berichtet, etwa jeder zweite Beschäftigte (47 Prozent), der wegen der Pandemie im Homeoffice ist, will so bald wie möglich an den Arbeitsplatz zurückkehren - Männer deutlich häufiger (52 Prozent) als Frauen (41 Prozent).

"Im aktuellen Change-Prozess liegt eine riesige Chance für Arbeitgeber und Arbeitnehmer", sagt Grünwald. Denn wenn Mitarbeiter daheim effizienter arbeiten könnten als im Büro, dann freue sich auch der Arbeitgeber über diesen Produktivitätszuwachs. Doch ist das wirklich so?

Gesetzentwurf im Herbst

Laut DIW arbeitet nur jeder zehnte Befragte zuhause mehr und besser. 40 Prozent machen die gegenteilige Erfahrung: Sie schaffen weniger. Grünwald ist überzeugt, dass sich "neue Formen der Zusammenarbeit etablieren, weil nicht jeder mehr seinen festen Platz im Büro einnimmt." So würden freie Flächen entstehen, die neu genutzt werden könnten - zum Beispiel für Kreativräume oder Stillarbeitsplätze.

Doch ob es in großem Stil dazu kommt, ist fraglich. Aber: Nach einer noch nicht veröffentlichten Umfrage des Fraunhofer Instituts und der Deutschen Gesellschaft für Personalführung erklärten 89 Prozent der Unternehmen, Homeoffice lasse sich umsetzen, ohne dass daraus Nachteile entstünden.

Die Gewerkschaften hoffen auf Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD), der bis zum Herbst ein Gesetz zum Recht auf Homeoffice vorlegen will. "Was nicht geht, ist die vollkommene Willkür und der Wildwuchs, den es beim Homeoffice noch gibt", sagt Anja Piel, Vorstandsmitglied beim Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB). Gegenüber dem epd listete sie ihre Forderungen auf: "Es braucht einen Rechtsrahmen für mobiles Arbeiten. Dazu gehört ein Rechtsanspruch auf selbstbestimmtes, freiwilliges mobiles Arbeiten." Und: "Das Recht auf Abschalten und Nichterreichbarkeit muss auch für den Arbeitsplatz zu Hause gelten."