Koblenz (epd). Es war eine etwa zwei Meter große Rolle, die das Interesse von Beate Reifenscheid weckte. Im Pariser Atelier von Otto Fried stieß die Leiterin des Koblenzer Ludwig Museums auf ein vier Meter langes Gemälde, das dort jahrelang unbeachtet in einer Ecke stand. Nun ist das Bild in Koblenz erstmals öffentlich zu sehen. Reifenscheid hofft, das Gemälde, das aus plastisch wirkenden bogenförmigen Pinselstrichen in Braun-, Orange- und Grüntönen besteht, ankaufen zu können. Damit würde Otto Fried, dem das Ludwig Museum seit Sonntag eine Retrospektive widmet, dauerhaft mit einem seiner großformatigsten Werke in seine Heimatstadt zurückkehren.
Unter dem Titel "Otto Fried - Heaven Can Wait/Heaven Can't Wait" ehrt das Ludwig Museum einen jüdischen Künstler, der Nazi-Deutschland bereits als Jugendlicher verlassen musste, und seine künstlerische Karriere im Ausland startete. Otto Fried, der 1922 in Koblenz-Horchheim geboren wurde, ist vor allem für seine abstrakten Gemälde bekannt. Mit seinen Kompositionen aus kosmisch wirkenden Scheiben und Kreisen erzielt Fried durch Überlagerung und eine spezielle Maltechnik eine räumliche Wirkung. Die Ausstellung präsentiert rund 40 Werke, darunter neben Gemälden auch Zeichnungen, Assemblagen sowie einige Skulpturen.
Otto Fried, Sohn eines jüdischen Fleischers, wurde 1936 im Alter von 13 Jahren von seiner Familie zu Verwandten nach Portland im US-Bundesstaat Oregon geschickt, um ihn vor den Nazis in Sicherheit zu bringen. Auch den Eltern gelang noch 1939 die Flucht in die USA. Im Zweiten Weltkrieg diente der Sohn bei der US-Luftwaffe und begann danach 1947 in Portland ein Kunst- und Designstudium.
Rundgang zum Lebenswerk
Der Rundgang durch das Lebenswerk des heute 97-jährigen Künstlers beginnt mit einigen frühen Gemälden aus den 50er Jahren mit kubistischen Zügen. Sie lassen den Einfluss Fernand Légers erkennen, bei dem Fried von 1949 bis 1951 in Paris Unterricht nahm. Da ist etwa eine Landschaft mit Bergen, Häusern, einer Brücke und Strommasten - alles auf geometrische Formen reduziert. Fried wählt eine für die Zeit typische Farbgebung in gedeckten Grün-, Rotbraun- und Blautönen.
Nach seinem Aufenthalt in Paris lebte Fried zunächst in New York. Zu dieser Zeit ist die US-Metropole Zentrum des abstrakten Expressionismus, der mit Künstlern wie Jackson Pollock, Willem de Kooning oder Sam Francis internationalen Einfluss gewann. Fried bleibt davon unbeeindruckt. Er malt zunächst noch figurativ. Eine Strandszene etwa zeigt mit kreisrunden Sonnenschirmen und wellenförmigen Sandhügeln schon Anklänge seiner späteren abstrakten Formensprache. Eine Phase, in der er sich in den 60er Jahren mit Landschaften beschäftigte, ist in der Ausstellung kaum berücksichtigt. Grund sei, dass diese Bilder alle an Privatleute verkauft wurden und kaum noch auffindbar seien, erklärt Reifenscheid.
Kosmische Formensprache
Entscheidender für Frieds Werk scheint ohnehin die Entwicklung seiner abstrakten kosmischen Formensprache, zu der er Anfang der 70er Jahre findet. Die bereits in dem figurativen Strandbild aus den 50er Jahren angelegten Formen finden sich hier als abstrakte Kompositionen wieder: Die Kreise, Ringe und Scheiben gewinnen durch wolken- oder wellenförmige Strukturen Plastizität. Später löst er die Ringe weiter zu bogenförmigen Strukturen auf. Diese Form findet sich auch in seinen Skulpturen, die zum Teil aus Metallbögen zusammengesetzt sind. Spitzere, blitzartige Formen, die an eine Sternenexplosion erinnern, tauchen in seinen Assemblagen aus Holz, Blech und Papier auf sowie in einem aus farbgetränkten und bemalten Stofftaschentüchern zusammengesetzten Bild.
Die Ausstellung präsentiert Fried als Maler mit einem in sich schlüssigen Werk, an dem er unbeeindruckt von künstlerischen Strömungen seiner Zeit arbeitete. Sein Schaffen zeigt keinerlei Anklänge seines Flüchtlingsschicksals, obgleich zumindest ein Teil seiner Familie dem Nazi-Regime zum Opfer fiel. "Er hat sein Leid nie thematisiert, sondern wohl sublimiert", sagt Reifenscheid.
Fried lebte seit Anfang der 60er Jahre abwechselnd in Paris und New York, ist aber seit 2010 in der französischen Hauptstadt sesshaft. Seiner Heimatstadt Koblenz blieb er offenbar immer verbunden. 1958 stellte er schon einmal im Deutschherrenhaus, dem heutigen Ludwig Museum, frühe Werke aus. Er soll auch regelmäßig zum Wandern in die Region gekommen sein. 2002 stiftete Fried für die Sankt Maximin Kirche in seinem Heimatort Horchheim sein Ölgemälde "Leewärtige Illusion" (1986). Zur Ausstellungseröffnung im Ludwig Museum wollte Fried ursprünglich anreisen. Doch die Corona-Pandemie und sein hohes Alter machten ihm einen Strich durch die Rechnung. Letztlich sprechen seine Bilder auf besondere Weise für ihn. "Ein Bild besteht aus Farben und Formen und hat mit Worten wenig zu tun", sagte der Künstler selbst einmal.