Die Ärztekammer Westfalen-Lippe fordert die Einrichtung eines Kinderschutzbeauftragten auf Landesebene. Es müsse in Nordrhein-Westfalen eine unabhängige Stelle geben, an die sich jeder auch anonym bei einem Verdacht auf sexuellen Missbrauch wenden könne, heißt es in einer am 20. Juni in Münster veröffentlichten Resolution der Kammerversammlung. Der oder die NRW-Kinderbeauftragte solle auf institutioneller Ebene alle Möglichkeiten der Prävention und Sensibilisierung für das Thema sexueller Missbrauch und Kinderpornografie nutzen sowie die neben den Jugendämtern bestehende Hilfeangebote stärker miteinander vernetzen.

Die Kammer sieht landesweit bei der Prävention des sexuellen Kindesmissbrauchs noch erheblichen Handlungsbedarf. "Lügde, Bergisch Gladbach und jetzt Münster, die Zahl der entdeckten Fälle von oft jahrelangem Missbrauch nimmt zu", sagte Kammerpräsident Hans-Albert Gehle am 20. Juni. Kindesmisshandlung und kinderpornografisches Material gebe es in allen sozialen Verhältnissen, inzwischen verbreiteten auch Kinder und Jugendliche über ihre Smartphones solche Inhalte.

Aufnahme der Kinderrechte ins Grundgesetz angemahnt

Gehle plädierte für die Aufnahme der Kinderrechte ins Grundgesetz. Trotz Bundeskinderschutzgesetz und der Einrichtung sogenannter Frühwarnsysteme bundesweit hätten Kinder noch immer keine verfassungsrechtlich gesicherten Rechte, kritisiert der Mediziner, der Oberarzt am Krankenhaus Bergmannsheil und Kinderklinik Buer in Gelsenkirchen ist. Elternrecht gehe hier immer noch vor Kinderrecht. "Die Ärztekammer Westfalen-Lippe sieht Kinderschutz in der Priorität vor dem Elternrecht, vor Datenschutz und grenzenlos pädagogischem Optimismus." Auch müsse der Opferschutz Vorrang haben vor dem Täterschutz.

In dem mehrheitlich beschlossenen Resolution für eine "konzertierte Aktion Kinderschutz" fordert die Kammerversammlung zudem einen 24-Stunden-Notruf bei den Jugendämtern. Der solle im Vorfeld, ohne die Polizei einzuschalten, Verdachtsfälle prüft, heißt es. Außerdem werden unter anderem Pflichtfortbildungen zum Thema Kindeswohlgefährdung und Kindesmisshandlung für Jugendhilfe, Kindergärten, Schulen, Sportvereine und Behinderteneinrichtungen sowie alle Arztgruppen angemahnt.

Saarland soll Kinderschutzbeauftragten bekommen

Im Saarland soll es künftig das Amt eines oder einer Kinderschutzbeauftragten geben. Dieser Vorschlag gehöre zu den ersten Handlungsempfehlungen der saarländischen Kinderschutzkommission, erklärte Familienministerin Monika Bachmann (CDU) am 19. Juni in Saarbrücken. Der oder die Beauftragte solle "Schnittstelle zwischen Politik, Betroffenen, Angehörigen und denen, die sich im Kinderschutz engagieren" sein.

Als weitere Maßnahmen empfiehlt die Kommission den Angaben zufolge kostenlose Online-Fortbildungsmodule für Fachpersonal, eine engere Vernetzung der verschiedenen Akteure im Bereich Kinderschutz sowie die Entwicklung verbindlicher Schutzkonzepte beispielsweise für Schulen und Sportvereine. "Ein wirksamer Kinderschutz ist eine der zentralen Aufgaben unserer Gesellschaft", betonte Bachmann. "Es sind die Kleinsten unter uns, die unsere Unterstützung und unsere Rückendeckung am meisten benötigen." Zur Stärkung des Kinderschutzes stünden für die Dauer von drei Jahren jährlich 300.000 Euro zur Verfügung.

Die saarländische Kinderschutzkommission hatte im August 2019 ihre Arbeit aufgenommen. Das interdisziplinär zusammengesetzte unabhängige Gremium ist beim Familienministerium angesiedelt. Es soll die vorhandenen Schutz- und Hilfesysteme bewerten und Rahmenkonzepte und Handlungsempfehlungen zum besseren Schutz von Kindern vor sexueller Gewalt und Missbrauch erarbeiten.