Die neue deutsche Corona-Warn-App könnte bald mit ähnlichen Apps anderer EU-Länder interagieren und so Nutzer auch bei Auslandsreisen oder nach der Heimkehr warnen. Am 16. Juni einigten sich die Mitgliedstaaten dafür auf technische Standards, wie die EU-Kommission in Brüssel mitteilte. Damit soll das Zusammenwirken der Apps und damit die Verfolgbarkeit von Infektionen über Grenzen hinweg sichergestellt werden. Am Morgen des Tages hatte die Bundesregierung die sogenannte Tracing-App zur Nachverfolgung möglicher Infektionsketten in Berlin vorgestellt.

Die digitale Anwendung alarmiert Nutzer, wenn sie Erkrankten zu nahe gekommen sind, die ebenfalls die App verwenden und positiv getestet wurden. Sie "dient vor allem der Vermeidung einer zweiten Welle", sagte Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU). Ebenso wie bei den Regeln zum Abstandhalten, zur Hygiene und Alltagsmaske sei das Ziel der App, einem nicht mehr nachvollziehbaren, dynamischen Infektionsgeschehen vorzubeugen, wie es im März in Deutschland der Fall gewesen sei. Die App sei aber kein Allheilmittel und kein Freifahrtschein, betonte Spahn. "Diese App ersetzt nicht vernünftiges Verhalten und Aufeinander-Acht-Geben."

Energiesparende Bluetooth-Variante

Zahlreiche Prominente gaben im Laufe des Tages über soziale Medien bekannt, dass sie die App jetzt nutzten. Auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier teilte per Foto über Facebook und Instagram mit, dass er ebenfalls User sei. Die App arbeitet mit einer energiesparenden Bluetooth-Variante, über die Daten nur in geringer Menge und Reichweite übertragen werden können. Sie erzeugt Zufallszahlen und sendet diese aus. Das Gerät und die Person bleiben durch die Nutzung solcher Pseudonyme anonym. Wer innerhalb von zwei Wochen mehr als 15 Minuten weniger als zwei Meter von einer infizierten Person entfernt war, wird gewarnt und kann sich testen lassen.

Spahn sagte, gerade in der Phase der Lockerung mit zunehmender Mobilität der Menschen mache die App Sinn: Etwa im Zug, Bus, in der S-Bahn oder bei Demonstrationen "kommen wir wieder immer mehr in Kontakt mit Personen, die wir nicht persönlich kennen". Kontaktnachverfolgung klassischer Art über Befragungen könne da nicht funktionieren.

Kanzleramtsminister Helge Braun (CDU) erläuterte, dass es leichter sei, Infektionszahlen niedrig zu halten, als hohe Zahlen zu reduzieren. Angesteckte sollten zudem von ihrer Infektion am besten bereits erfahren, bevor sie selbst merkten, dass sie erkrankt seien. So könnten sie sich rascher testen lassen und eine Infektionskette könne frühzeitiger unterbrochen werden. Die App herunterzuladen und zu nutzen, sei für jeden ein kleiner Schritt, "aber ein großer Schritt für die Pandemiebekämpfung".

Lilie spricht von "Gebot der Solidarität"

Diakonie-Präsident Ulrich Lilie nannte es "ein Gebot der Solidarität", die App zu nutzen. Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter bekräftigte indes die Forderung nach einem "stützenden Gesetz". Er erklärte, dass die Freiwilligkeit am Ende eine theoretische sein könne, wenn Arbeitgeber auf die Nutzung bestünden. Sachsens Justizministerin Katja Meier (Grüne) wies darauf hin, dass ein gemeinsam mit ihren Amtskollegen aus Thüringen, Hamburg und Berlin erarbeiteter Gesetzentwurf dem Justizministerium übersandt worden sei.

Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) hält eine gesetzliche Regelung allerdings nicht für notwendig. Bei der App seien die "goldenen Regeln des Datenschutzes" eingehalten - sie sei freiwillig, anonym, Daten würden sparsam verwendet.

Laut EU-Kommission haben neben Deutschland fünf weitere europäische Länder eine ähnliche, dezentral arbeitende Anwendung in Betrieb, weitere elf Staaten entwickeln sie. Eine Interaktion zwischen verschiedenen nationalen Apps sei ab sofort möglich, sie hänge von den jeweiligen Ländern ab. Darüber hinausgehend arbeitet die Behörde an einem System mit einem zentralen Server, über das die Apps mehrerer Länder auf einmal zusammengeschaltet werden. Dazu soll in ungefähr drei Wochen ein Pilotprojekt mit Deutschland, den Niederlanden, Polen und Irland starten.