Bonn (epd). Politik muss den Bürgern nach Ansicht des Menschenrechts-Experten Heiner Bielefeldt etwas abverlangen. "Ohne Zumutung wird Politik Glaubwürdigkeit und Vertrauen nicht mehr erarbeiten können," warnte Bielefeldt am 20. Januar auf dem gemeinsamen Neujahrsempfang der kirchlichen Hilfswerke Brot für die Welt und Misereor in Bonn. Wer Menschen aus Angst vor der populistischen Konkurrenz Zumutungen ersparen wolle, habe den Glauben an die Demokratie schon aufgegeben, sagte der Erlanger Menschenrechtsforscher. "Zumutungen müssen aber erklärt und gerecht verteilt werden."
Angesichts der eklatanten Ungleichheit der Lebenschancen in verschiedenen Regionen der Erde sei es Aufgabe der Politik, eine weltbürgerliche Friedensordnung zu gestalten, forderte der Professor der Universität Erlangen-Nürnberg. "So wie man in der Feudalgesellschaft irgendwann nicht mehr akzeptieren wollte, dass der Geburtsstand über alles entscheidet, so wird es immer weniger plausibel sein, dass die Lebenschancen der Menschen in so drastischer Weise vom Geburtsort abhängig sein sollen." Gerade die Menschen in den ärmsten Ländern litten am meisten unter dem Klimawandel. Die Klimakrise sei auch eine Gerechtigkeitskrise. "Hier wird das Verursacherprinzip auf den Kopf gestellt."
"Politisierung der Gesellschaft wie lange nicht mehr"
Bielefeldt sieht aber Grund zur Hoffnung, dass große Teile der Gesellschaft bereit seien, Zumutungen zugunsten einer gerechteren Weltordnung zu akzeptieren. "Wir erleben derzeit eine Politisierung der Gesellschaft wie man sie so lange nicht mehr gesehen hat." Beispiele seien etwa die große "Unteilbar"-Demonstration in Berlin im Oktober 2018 gegen Rassismus oder die Klimaproteste der Schüler- und Studentenbewegung "Fridays for Future", die auch von vielen Älteren unterstützt werde.
Zugleich gebe es Steigerungen bei der Wahlbeteiligung, zum Beispiel einen zehnprozentigen Zuwachs bei den Europa-Wahlen. Das noch vor einigen Jahren verbreitete Gefühl, dass bestimmte institutionelle Weichenstellungen irreversibel seien, habe sich gewandelt, beobachtete Bielefeldt. "Mittlerweile haben wir festgestellt, dass es Alternativen gibt."