Der Rechtsstreit um das Erdogan-Schmähgedicht von Jan Böhmermann kommt vor das Bundesverfassungsgericht. Der Satiriker hat Verfassungsbeschwerde gegen das Teilverbot des Gedichts über den türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan eingelegt, wie Böhmermanns Anwalt Christian Schertz am 19. Dezember dem Evangelischen Pressedienst (epd) in Berlin sagte. Böhmermann wendet sich damit gegen Urteile von Hamburger Gerichten, die einen Großteil der Äußerungen aus dem 2016 vorgetragenen Gedicht untersagt hatten. Zunächst hatte der "Tagesspiegel" (online) über die Beschwerde berichtet. (AZ: 1 BvR 2026/19)

Die Beschwerde macht laut Schertz eine Verletzung der im Grundgesetz geschützten Kunst- und Meinungsfreiheit geltend. Für ihn sei "ziemlich offensichtlich, dass auch staatspolitische Überlegungen bei den Entscheidungen eine Rolle spielten", betonte der Anwalt mit Blick auf mögliche diplomatische Folgen der Urteile. Die Freiheit der Kunst sei ein Werkzeug, sich gegen die Feinde von Rechtsstaatlichkeit und Demokratie zur Wehr zu setzen. Dies festzustellen, werde die Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts sein, sagte Schertz.

Paragraf 103 gestrichen

Das Karlsruher Gericht bestätigte auf epd-Anfrage, dass die Beschwerde anhängig ist. Ein Entscheidungstermin sei derzeit nicht absehbar, erklärte ein Sprecher.

Böhmermanns Erdogan-Gedicht hatte im Frühjahr 2016 in der Türkei und in Deutschland heftige Reaktionen ausgelöst. Unter dem Titel "Schmähkritik" hatte der Satiriker am 31. März 2016 in seiner ZDFneo-Sendung "Neo Magazin Royale" teils wüste Beschimpfungen gegen Erdogan vorgetragen und ihm unter anderem Sex mit Tieren unterstellt. Zur Begründung stellte der Satiriker seinem Auftritt voran, er wolle den Unterschied zwischen erlaubter Satire und in Deutschland verbotener Schmähkritik erklären.

Erdogan klagte auf Unterlassung gegen den Moderator. Das Landgericht Hamburg und das Hanseatische Oberlandesgericht (OLG) verboten in dem zivilrechtlichen Streit schließlich weite Teile des Gedichts. Damit blieb es Böhmermann untersagt, 18 von 24 Zeilen der "Schmähkritik" zu wiederholen. Die fraglichen Passagen beinhalteten schwere Herabsetzungen mit Bezügen zum Intimen und Sexuellen, für die es in der Person oder dem Verhalten Erdogans keine tatsächlichen Anknüpfungspunkte gebe, hatte das OLG ausgeführt.

Zuletzt war Böhmermann in dem Rechtsstreit auch vor dem Bundesgerichtshof (BGH) gescheitert. Der BGH hatte die Beschwerde des Satirikers gegen die Nichtzulassung der Revision durch das OLG Ende Juli abgewiesen. Die Rechtssache habe weder grundsätzliche Bedeutung noch diene sie der Fortbildung des Rechts, hieß es zur Begründung.

Im Zuge der Affäre um das Schmähgedicht wurde zum Jahresbeginn 2018 auch der Paragraf 103 aus dem deutschen Strafgesetzbuch gestrichen, der die "Beleidigung von Organen und Vertretern ausländischer Staaten" unter Strafe stellte. Erdogan hatte auf Grundlage dieser Regelung auch Strafanzeige gegen Böhmermann gestellt, die Staatsanwaltschaft Mainz hatte die Ermittlungen jedoch im Herbst 2016 eingestellt.