Ein junger Mann spielt 1985 im ZDF-Vorabendprogramm einen Kirchenchoral auf dem E-Piano. Aber wie! Harmonien und Rhythmik haben nichts mehr mit den alten Meistern zu tun, stattdessen umklammern sich Jazz, Pop und Gospel zu einem wilden Tanz der Noten. Weite Hose, buntes Hawaiihemd und eine Riesenbrille auf der Nase, hämmert der Musikstudent wie von Sinnen in die Tasten.

Der Mann heißt Dieter Falk und ist heute mit mehr als 50 Goldenen Schallplatten einer der erfolgreichsten Musikproduzenten Deutschlands. Was er damals vor laufender Kamera aufführte, sollte die Kirchenmusik in Deutschland nachhaltig spalten und verändern.

Geboren und aufgewachsen im Siegerland, wo seine Mutter einen Kirchenchor leitete, entdeckte der Junge bei Klavierunterricht und Orgelspiel schnell seine eigentliche Berufung: die Verbindung der alten Meister mit dem Sound der Gegenwart. "Ich liebte Elton John", erinnert sich Falk, der heute als Musikprofessor in Düsseldorf, Witten und Regensburg unterrichtet. "Popmusik. Jazz. Soul. Den 70er-Jahre-Sound aus Los Angeles."

Eine Verbindung von klassischer Musik und Rock- und Popmusik hatten zwar schon Bands wie Ekseption oder Emerson, Lake and Palmer gezeigt, "aber mir war ja die Kirchenmusik vertraut." Und so machte der junge Freigeist auch vor den Liedern von Paul Gerhardt (1607-1676) und Martin Luther (1483-1546) nicht Halt.

"Darf man das?"

Die Reaktionen waren heftig. "Für die einen war es eine Offenbarung", erinnert sich Falk. Seine erste Solo-LP "On Time", auf der er Kirchenchoräle quasi komplett neu erfand, verkaufte sich 50.000 Mal, die spätere "A Tribute to Paul Gerhardt" 40.000 Mal. Andere reagierten verstört. Darf man das? Soll man das?

Bei einem Jugendtreffen einer pfingstlerisch-charismatischen Freikirche in Fulda tanzten und klatschten Anfang der 80er Jahre 3.000 Menschen zu einer Funky-Version des alten Kirchenliedes "Nun danket alle Gott" von Gerhardt - bis der Veranstalter den Strom abdrehte und das Konzert abbrach. "So hatte er sich ein Paul-Gerhardt-Konzert offenbar nicht vorgestellt", sagt Falk.

Für ihn ist die Grenze zwischen alter und junger, ernster und unterhaltender Musik künstlich. "Luther, Gerhardt, Mozart: Was die damals gemacht haben, war doch ebenfalls populäre Musik, also Pop", sagt er und ist sich sicher: Würden Bach und Beethoven heute leben, würden sie an Synthesizer, Schlagzeug und Computer komponieren.

Der neue Sound kommt an, die 70er und 80er Jahre stehen im Zeichen von Aufbruch, auch in der kirchlichen Jugendarbeit. Schnell wird Falk zum Guru der Christrock- und Pop-Szene. Ob Clemens Bittlinger, Inge Brück, Jan Vering, Arno und Andreas, Andrae Crouch, Edwin Hawkins, Cae Gaunt: Falk arrangiert, greift in die Tasten, mischt Tonspuren im Studio ab. Beim Plattenlabel "Pila Music" produziert er bis Anfang der 90er Jahre gut 100 Schallplatten aus der christlichen Szene.

Dann fordert der Stress seinen Tribut und Falk ist es satt, oft nur mittelprächtige musikalische Qualitäten aufzupeppen. 1990 verlässt er die christliche Musikszene, Warnungen von Freunden und Weggefährten zum Trotz. Und ist auch "da draußen" erfolgreich. Der Höhenflug beginnt, als sich Falk und die Band "Pur" treffen, ihre Zusammenarbeit wird zu einer der erfolgreichsten in der deutschen Musikgeschichte. Die zwischen 1990 und 1997 produzierten fünf Studioalben und zwei Live-Aufnahmen verkaufen sich millionenfach, der Titelsong "Abenteuerland" sprengt Verkaufsrekorde.

Falk jettet von London nach Los Angeles oder Nashville, produziert mit angesagten Studiomusikern. Die Trennung von "Pur" nach sieben Jahren "in aller Freundschaft" ist ein Einschnitt, die ganz großen Erfolge bleiben jetzt aus.

Comeback mit "10 Gebote"

Falk wohnt in Düsseldorf, produziert im heimischen Studio Sänger, die früher einmal Stars waren: Karel Gott, Daliah Lavi, Nino de Angelo. Daneben neue Entdeckungen wie Marshall & Alexander oder Detlef Jöcker.

Im Jahr 2009 erlebt der Musiker ein unverhofftes Comeback: Die Creative Kirche, eine Event-Organisation aus Witten mit Wurzeln in der evangelischen Kirche, will ein Pop-Oratorium auf die Beine stellen. Ihr Wunschpartner ist Dieter Falk, der begeistert auf die "gewaltige Herausforderung" reagiert. 2.500 Sänger, Symphonieorchester, Band und Solisten - das gab es noch nie. Falk komponiert die Musik und holt als Texter einen Bekannten an Bord: Michael Kunze.

Kunze hat noch mehr Goldene Schallplatten als Falk und ist als Hit-Lieferant für Peter Maffay, Udo Jürgens und die "Münchener Freiheit" eine Legende. Die Uraufführung der "10 Gebote" 2010 in der Dortmunder Westfalenhalle wird ein Riesenerfolg und Spektakel. 2017 folgt zum 500. Jubiläum der Reformation das noch erfolgreichere Pop-Oratorium "Luther".

Damit schließt sich für Falk ein Kreis: Er ist zur evangelischen Kirche zurückgekehrt und für sie ein musikalisches Aushängeschild geworden. Eine Win-win-Situation: Falk, der unermüdliche Schöpfer eingängiger Melodien, kann seiner Mission nachgehen, Kirche auf musikalische Art lebendiger zu gestalten. Und die Kirche hat jemanden, der ihre Botschaft mit Millionen-Hits weiterträgt.

Das neue Projekt von Falk und Kunze ist schon im Werden: Das Chormusical "Bethlehem" soll die biblische Weihnachtsgeschichte in ein modernes Licht rücken. Die Premiere im Düsseldorfer ISS Dome ist für den 5. Dezember 2020 geplant - Falks Geburtstag.