Das Erbe der Kolonialzeit ist das Thema seines Lebens: Als James Ngugi wa Thiong'o jung war, schloss sich sein Bruder dem Mau-Mau-Aufstand gegen die britische Kolonialmacht an. Als er englische Literatur studierte, zogen die Briten ab. "Ich schrieb mich als kolonialer Untertan 1959 am Makerere ein und ging 1964 als Bürger des unabhängigen Kenia ab", schrieb Ngugi in seiner Autobiographie "Geburt eines Traumwebers" über seine bewegte Studienzeit an der renommierten Makerere-Universität im ugandischen Kampala. Was seit der Unabhängigkeit Kenias geschah, hält Ngugi in Texten fest.

Am 29. November wurde er dafür mit dem Erich-Maria-Remarque-Friedenspreis der Stadt Osnabrück ausgezeichnet. Da Ngugi krank ist, nahm den Preis sein Freund, der kenianische Dichter und Publizist Abdilatif Abdalla entgegen.

Kandidat für Nobelpreis

Ngugi, der am 5. Januar 1938 unweit des kenianischen Ortes Limuru geborene Bauernsohn, zählt zu den wichtigsten Autoren Afrikas und wird jährlich aufs Neue für den Literaturnobelpreis gehandelt. Als junger Mann veröffentlichte er sein erstes Buch "Weep not, child" (Deutsch: "Abschied von der Nacht") - der erste Roman eines Ostafrikaners überhaupt, wie es in der Sekundärliteratur heißt. Darin und in seinen folgenden Werken beschreibt er die herrschende Klasse als skrupellos - damals britisch, heute kenianisch. Daraus, dass er den aktuellen Präsidenten Uhuru Kenyatta dazu zählt, macht er keinen Hehl.

Vor dessen Wahl 2013 warnte der Autor vor den Risiken des anstehenden Generationenwechsels an der Staatsspitze. Während der aus dem Amt scheidende Mwai Kibaki die Folgen des totalitären Kolonialismus am eigenen Leib erfahren habe, sei dies bei der nun folgenden Politikergeneration nicht der Fall: "Dies kann sie leichtgläubig machen gegenüber den Machenschaften des von Wirtschaftsinteressen getriebenen Westens, zumal weil ihnen die nationale Vision fehlt." Nach der Wahl schrieb er, der eigentliche Gewinner sei Ex-Diktator Daniel arap Moi, dessen System aus Speichelleckerei und Korruption fortbestehe.

Uhurus Vater Jomo Kenyatta und sein Nachfolger Moi waren es, die Ngugi ins amerikanische Exil trieben. Davor wurde er verhaftet und gefoltert, weil er nach seiner Rückkehr von der Uni 1977 in seinem Heimatdorf ein selbst geschriebenes Theaterstück aufführte. "Ich heirate, wann ich es will" war eine schonungslose Abrechnung mit den ersten Jahren der Unabhängigkeit. "Man hätte denken sollen, dass die Regierung es begrüßt, wenn Intellektuelle und die Dorfbevölkerung in Kontakt treten", sagte Ngugi. "Stattdessen holten sie den Vorschlaghammer raus, zerstörten alles und warfen mich ins Gefängnis."

Schrieb auf Toilettenpapier

Dort schrieb Ngugi auf Toilettenpapier seinen autobiografischen Roman "Der gekreuzigte Teufel" - das erste Buch in seiner Geburtssprache Kikuyu, in der er bis heute schreibt, obwohl er seit mehr als 30 Jahren in den USA lebt und an der Universität von Irvine in Kalifornien lehrt. Dabei geht es Ngugi um mehr als nur um das Prinzip. "Meine Familie hat mich zur Universität geschickt, damit ich mit meinem Wissen die Gemeinschaft stärke", sagt er. Doch das Studium in Kolonialsprachen entferne die Intelligenz zwangsläufig vom Volk. "Der Botschafter wird zum Gefangenen, er kehrt nie zurück - er bleibt innerhalb der Sprache gefangen."

Ngugis Aufruf zu einer "Dekolonisierung des Denkens" ist bis heute aktuell. Seine gleichnamige Essay-Sammlung aus den 80er Jahren ist erst kürzlich ins Deutsche übersetzt worden. Dass ausgerechnet das kenianische Parlament ein Gesetz beschloss, das den Gebrauch afrikanischer Sprachen in offiziellen Stellen verbietet, sieht er als Symbol dafür, dass die regierende Elite die Kluft zum Volk pflegt. Seine Memoiren in drei Bänden zeichnen ein ähnliches Bild: Postkoloniale Politik und Ngugis Lebensweg sind darin eng verzahnt.

In seinem Spätwerk "Der Herr der Krähen" rechnet Ngugi in Form eines satirischen Märchens mit den Autokraten seiner Heimat ab. Während in dem Roman der "Herrscher" der fiktionalen Republik Aburiria sich einzig um globale Gelder sorgt, um ein "Superweltwunder" zu errichten, herrscht unter ihm eine Kaste aus machtgierigen Gefolgsleuten, die zu ihrem Vorteil den Rest der Bevölkerung unterdrücken und absurdeste Gesetze erlassen.

"Egal welche Mächte dich unterdrücken, bleib nicht unten", betont Ngugi, und für solch einen Satz könnte er in Kenia heute schon wieder Ärger bekommen. Den Politikern seines Heimatlandes wirft er offen vor, den Staat als Selbstbedienungsladen zu missbrauchen. Dass er 2004 während seines ersten Besuchs in Kenia nach 22 Jahren bei einem brutalen Überfall ausgeraubt und seine Frau vergewaltigt wurde, halten nicht wenige in Kenia für die Rache jener Kaste, die Ngugi kritisiert. Seine Stimme erhebt der Autor dennoch weiter.