Kigali (epd). Plick, plick, plick - mit bloßen Fingern knipst Everena Mukazigira die frischen Triebe der Teepflanzen ab. Zusammen mit ihrem Mann arbeitet sie sich im kühlen Wind durch einen halben Hektar Teesträucher an einem smaragdgrünen Berghang in 2.300 Metern Höhe im Westen Ruandas. Im Tee-Anbau sehen sie Zukunft, auch für einige ihrer neun Kinder. 25 Jahre nach dem Völkermord an den Tutsi schauen sie nach vorn, unterstützt durch die internationale Kreditgenossenschaft Oikocredit.
Drei Kinder hat das Kleinbauernpaar auf Universitäten geschickt. "Ohne den Tee hätten wir das nicht gekonnt", sagt der Vater Rawbeni Rubyogo. Im Monat verdienen sie mit dem Tee umgerechnet 60 Euro, das Pro-Kopf-Einkommen in Ruanda liegt bei zwei Euro am Tag. Die Wirtschaft wächst stetig, im vergangenen Jahr um 8,6 Prozent.
Die Eheleute sind Hutu. Die Karongi-Teefabrik, die sie beliefern, gehört Tutsi. 25 Jahre nach dem Völkermord gibt es die Unterscheidung in die beiden Volksgruppen offiziell nicht mehr. Teebauer Rubyogo sagt, auch seine Hutu-Familie sei in den Bürgerkriegswirren 1994 in Gefahr gewesen. "Wir mussten rennen und fliehen", sagt er über die Zeit, als Hutu-Extremisten Hunderttausende Tutsi und gemäßigte Hutu ermordeten und die Tutsi-Rebellenarmee des heutigen Präsidenten Paul Kagame vorrückte.
Gräueltaten in idyllischer Landschaft
Unten im Tal, in der Stadt Karongi, die früher Kibuye hieß, kündet eine neu errichtete Gedenkstätte von den damaligen Gräueltaten inmitten der idyllischen Landschaft: Auf dem Fußballplatz Gatwara wurden im April 1994 etwa 15.000 Tutsi zusammengepfercht, ohne Essen, ohne Wasser. Nach und nach wurden die Männer, Frauen und Kinder erschossen, mit Granaten in die Luft gesprengt oder mit Macheten niedergemetzelt. Das Tutsi-Mädchen Elyse war erst acht Jahre alt, als sie starb. Ein Foto im Mausoleum zeigt sie mit verschmitztem Lächeln.
Die Teebäuerin Agnès Mukamumana (54) denkt jeden Tag an ihre Lieben. Sie ist Hutu und floh 1994 nach dem Völkermord in den Kongo. Denn Hutu-Extremisten warnten damals vor Rache-Akten der Tutsi. Im Kongo starben ihr Mann und ihre vier Kinder. "Durch Hunger, Krankheit und Krieg", sagt sie und wendet den Blick ab. Sie ist froh über den regelmäßigen Verdienst von ihren Teepflanzen. Sonntags besucht sie den Gottesdienst in der evangelischen Kirche weiter oben auf dem Hang: "Wir sprechen viel über Versöhnung", sagt sie. "Das Verhältnis zwischen Hutu und Tutsi ist kein Problem mehr."
Bis 13 Uhr müssen die Teeblätter an der Sammelstelle sein, von wo die Kooperative der Teebauern sie mit Lastwagen zur Fabrik transportiert. Teepflücken will gelernt sein, und dafür finanziert Oikocredit Kurse in der Kooperative. In jungen, gesunden, hellgrünen Trieben steckt das beste Tee-Aroma: Zwei Blätter und eine Blattknospe will die Karongi-Teefabrik haben, die Qualität wird kontrolliert und entscheidet mit über den Kilopreis.
Die Regierung schreibe vor, dass er 40 Prozent des Erlöses an die Kleinbauern weitergeben müsse, sagt David Mutangana (45), Leiter der Teefabrik, die dem Unternehmen seiner Familie gehört. Zurzeit erzielt sein Tee auf den wöchentlichen Auktionen im kenianischen Mombasa einen Durchschnittspreis von drei US-Dollar je Kilo.
Exporte in den Nahen Osten
Vor allem im Nahen und Mittleren Osten sowie in Pakistan ist der kräftige ruandische Tee beliebt. Die Fabrik verarbeitet nicht nur Tee von rund 2.000 Kleinbauern, sondern hat auch selbst rund 200 Beschäftigte auf einer eigenen Plantage, die laut Mutangana den gesetzlichen Mindestlohn von rund einem Euro pro Tag erhalten.
In der Fabrikhalle duftet es nach Heu und ganz leicht nach Tee. Die frisch gepflückten grünen Blätter werden 8 bis 16 Stunden lang getrocknet und belüftet, am nächsten Tag kleingeschnitten, bei 26 bis 28 Grad geschüttelt und umgewälzt. In wenigen Stunden ist ein Teepulver fertig - ideal, um in Teebeutel gemischt zu werden.
Die Kooperative lobt, dass die Fabrik den Kleinbauern als Starthilfe zwei Jahre lang höhere Preise gezahlt hat, in Aufforstung und Erosionsschutz investiert. Die Einhaltung der sozialen Standards wird laut Oikocredit zwei Mal im Jahr vor Ort überprüft: Aktueller Wunsch ist, dass die Teefabrik mehr Waschräume für die Teepflückerinnen baut.
Sein Vater, der erfolgreiche Self-Made Unternehmer Jean-Baptiste Mutangana (80), stieg vor Jahren ins Teegeschäft ein, um Überlebenden des Völkermords eine Perspektive zu bieten. Die Tutsi-Familie Mutangana selbst hatte 1994 im Nachbarland Burundi im Exil überlebt. Doch die in der Heimat gebliebenen Angehörigen wurden alle getötet. Heute ist für den Senior-Chef, der mit seiner aufrechten Haltung Würde ausstrahlt, nicht das Trennende wichtig: "Wir stammen alle von denselben Vorfahren ab."