Berlin, São Paulo (epd). Das einst dichte grüne Blätterdach des Amazonasgebiets hat Lücken bekommen. Im größten Regenwald der Welt tun sich immer mehr kahle Stellen auf. Es sind Hinterlassenschaften von Viehzüchtern, Goldschürfern und Holzfällern. Aus der Luft wird die ganze Dramatik der Abholzung am deutlichsten. Mit Labors auf einem 325 Meter hohen Turm beobachtet ein internationales Forscherteam, was sich dadurch für das Klima und in der Treibhausgasbilanz ändert. Die Abholzung sei an einem Punkt, der unumkehrbar sei, sagt der Klimawissenschaftler Paulo Artaxo aus São Paulo, einer der beteiligten Forscher. Bereits 20 Prozent des einstigen Regenwaldes sind vernichtet.
Wie in den USA Präsident Donald Trump habe Brasiliens Staatschef Jair Bolsonaro die Umweltgesetzgebung "praktisch außer Kraft gesetzt", sagt Artaxo. Internationaler Druck, vor allem aus Frankreich und Deutschland, sei der einzige Weg, um das Tempo der Abholzung zu bremsen. Der Klimaforscher verweist dabei auf das Freihandelsabkommen, das die EU und die Mercosur-Mitglieder Brasilien, Argentinien, Uruguay und Paraguay unterzeichnet haben.
Weiden und Plantagen statt Regenwald
Darin ist vereinbart, das Pariser Klima-Abkommen wirksam umzusetzen und die illegale Abholzung in Brasilien auf null zu reduzieren. Zudem wird Brasilien verpflichtet, die Ausdehnung der Sojaplantagen in Waldgebieten zu stoppen. Bis jetzt gibt es allerdings in der Regierung Bolsonaro überhaupt keinen politischen Willen, diese Verpflichtungen auch nur ansatzweise umzusetzen. Im Gegenteil: Aus Sicht Bolsonaros gibt es im Amazonasgebiet noch genügend Platz für Viehweiden und Sojaplantagen. Er will die grüne Lunge des Planeten für Bergbau freigeben und dafür Schutzgebiete und das Land von Ureinwohnern opfern.
Kurz vor Unterzeichnung des Freihandelsabkommens hatte der brasilianische Umweltminister Ricardo Salles sogar noch angekündigt, die Mittel für Maßnahmen gegen den Klimawandel um 95 Prozent zu kürzen. Das trifft auch die Umweltbehörde Ibama, die ihre Kontrollen und Patrouillen im Amazonasgebiet extrem herunterfahren musste. Für alle illegalen Holzfäller kommt dies einem Freifahrtschein gleich.
Die Konsequenzen dieser Politik zeigen Satellitenbilder des Weltraumforschungsinstituts INPE. Im Juni wurde 60 Prozent mehr Wald im Amazonasgebiet abgeholzt als im gleichen Monat des Vorjahres. Im ersten Halbjahr 2019, in der Regierungszeit Bolsonaros, wurde soviel Wald vernichtet, wie seit drei Jahren nicht mehr.
Keine Sanktionen möglich
Die im Freihandelsabkommen vereinbarten Umweltschutzstandards sind nicht vor der Welthandelsorganisation (WTO) einklagbar wie beispielsweise Zollvergehen. Sanktionen sind nicht möglich, wenn ökologische Ziele nicht eingehalten werden. Bolsonaro hat angekündigt, dass Brasilien aus dem Pariser Klimaabkommen von 2015 aussteigen wird. Doch warum sollte sein Land das tun, fragt sich Klimaforscher Artaxo. "Es braucht doch die Ziele einfach nicht einzuhalten, es gibt überhaupt keine Strafe."
Dabei sei es sehr einfach, illegale Abholzung zu kontrollieren. Mit dem Satellitensystem von INPE werde seit 20 Jahren der Regenwald überwacht. "Wenn Brasilen die Abholzung stoppen will, kann das sehr schnell geschehen. Es fehlt nicht an Technologie, aber an politischem Willen", sagt Artaxo.
Auch Greenpeace sieht das EU-Mercosur-Freihandelsabkommen sehr kritisch. Hinter dem Abkommen stünden große Wirtschaftsinteressen. Nachhaltigkeits- und Klimaschutzziele würden vernachlässigt bis ignoriert, sagt Greenpeace-Waldexperte Jannes Stoppel. So würden klimaschädliche Autos nach Südamerika transportiert, mehr Fleisch in die EU importiert und damit gleichzeitig das Klimaziel im Pariser Abkommen infrage gestellt. "Wir hoffen, dass es nicht zur Ratifizierung des Abkommens kommen wird", sagt Stoppel.
Aber auch den europäischen Verbrauchern wird nach Ansicht von Umweltorganisationen Sand in die Augen gestreut. Das Versprechen der EU, europäische Standards seien durch diverse Schutzklauseln nicht bedroht, weisen sie als unhaltbar zurück. In Brasilien sind Pestizide zugelassen, die auf dem europäischen Markt längst verboten sind. "Die damit produzierten Agrarprodukte landen auf dem europäischen Markt. Das gleiche gilt für genmanipuliertes Soja", sagt Stoppel.